Schätze der Vergangenheit
Die Schweiz ist das Land in Europa, das die meisten Pfahlbaustätten beherbergt, d. h. Schätze aus prähistorischer Zeit auf den Seen. An den Ufern des Neuenburger-, Zürcher-, Zuger-, Hallwiler- oder Bielersees können Sie die Überreste dieser erstaunlichen Dörfer entdecken, die eine Mischung aus schwimmenden Häusern oder Häusern auf Pfählen und Häusern auf dem Festland waren, die oft die Form von künstlichen Hügeln annahmen. Die Häuser hatten einen rechteckigen Grundriss, waren oft lang und schmal und standen unter einem breiten Strohdach mit zwei Dachflächen. Sie waren aus Bohlen (Kanthölzern) oder aus Fachwerk gebaut, wobei die Wände aus einem Geflecht von Ästen bestanden und mit Lehm verkleidet waren. Die Häuser waren in mehreren Reihen aufgereiht und wurden durch Holzpalisaden, Gräben und Erdwälle geschützt. Die Überreste und Rekonstruktionen im Laténiumparc und Archäologiemuseum in Hauterive sind ein Muss. Die Kelten und Helvetier errichteten die ersten städtischen Zentren oder Oppida, die in verschiedene Viertel unterteilt und mit mächtigen Wällen aus Erde, Holz und Stein befestigt waren. Auf der Enge-Halbinsel in Bern sind Überreste dieser Siedlungen zu sehen. Dann waren die Römer an der Reihe, die Pragmatismus, Monumentalität und häuslichen Reichtum gekonnt miteinander verbanden, wie die sehr schöne gallo-römische Villa in Orbe-Boscéaz mit ihren herrlichen Mosaiken zeigt. Verpassen Sie auch nicht die römische Stadt Augusta Raurica mit ihren Thermen, ihrem unterirdischen Brunnen, den mächtigen Stützmauern ihrer Basilika und den Überresten von Öfen, die zur Herstellung von Dachziegeln aus getrocknetem Lehm dienten, von denen viele das Zeichen der Legion tragen. Ja, zu dieser Zeit waren die Streitkräfte auch die ersten Bauunternehmen!
Mittelalterliche Macht
Die Karolingerzeit (8. bis 10. Jahrhundert) war eine Zeit der großen Erneuerung für die christliche Klosterarchitektur. DieAbtei von St. Gallen ist das berühmteste Beispiel dafür. Ihr idealer Grundriss mit seiner hohen Funktionalität zeigt eine Trennung zwischen Ost-Sakral und West-Profan, und zwei mächtige Türme flankieren die Westfassade ihrer Kirche. Diese Merkmale finden sich auch in dem wunderschönen Schwesternkloster in Müstair wieder. Das Kloster verfügt außerdem über die größte Sammlung romanischer Fresken im ganzen Land. Diese Romanik mit ihren massiven Mauern, Rundbögen und geschnitzten Verzierungen sollte sich unter dem Einfluss der religiösen Orden im ganzen Land verbreiten. Die Abteikirche von Romainmôtier ist mit ihren von mächtigen Pfeilern getragenen Kreuzgewölben eines der großen Meisterwerke der Schweizer Romanik, ebenso wie das Kloster Muri oder die Kirche Santa Maria di Castello in Mesocco mit ihrem prächtigen steinernen Campanile mit Zwillingsöffnungen. Mit ihren Spitzbögen, Kreuzgewölben und dünnen, aber mächtigen Strebebögen ist die Gotik vertikal und luftig. Wunderschöne Glasfenster, geschnitzte Portale und Rippengewölbe zeugen vom Reichtum der gotischen Dekoration. Doch nur wenige Gebäude wurden aus dem Nichts errichtet, stattdessen baute man auf karolingischen und romanischen Fundamenten auf und schuf so eine prächtige Mischung aus verschiedenen Stilen, deren stolzeste Vertreter die Kathedralen sind. Verpassen Sie nicht die Kathedrale Notre-Dame in Lausanne, die Kathedrale Saint-Nicolas in Freiburg oder die Kathedrale von Chur mit ihrem schönen Kirchenschiff, in dem sich mächtige romanische Säulen mit elegant geschnitzten Kapitellen und gotische Luftgewölbe abwechseln. Diese Mischung findet man auch in der erstaunlichen Basilika Notre-Dame de Valère, einem seltenen Beispiel für eine befestigte Kirche und Beweis dafür, dass das Mittelalter eine zumindest bewegte Zeit war! Dies erklärt auch die vielen Burgen und Schlösser. Diese entwickelten sich von einfachen, isolierten Türmen zu mächtigen Festungen. Die befestigte Stadt Bellinzona mit ihren drei Schlössern und mächtigen Mauern, die sich den zerklüfteten Konturen der Topografie anpassen, ist einzigartig, ebenso wie das legendäre Schloss Chillon mit seinem doppelten Gesicht, das zwischen Festung und gotischem Fürstenpalast angesiedelt ist. Auch die aufstrebenden Städte schützen sich hinter beeindruckenden Stadtmauern. Uhrentürme, Rathäuser und Zunfthäuser schmücken sich mit den Gewändern der Gotik. Gemauerte Erdgeschosse mit Arkaden, Fachwerkobergeschosse mit Erkern (Fenster mit Erker) kennzeichnen oft die hohen und schmalen mittelalterlichen Häuser. Die Dörfer Stein-am-Rhein und Reggensberg gehören zu den malerischsten des Landes. Luzern beeindruckt mit seinen erstaunlichen gedeckten Holzbrücken und der Museggmauer, einer 850 m langen, perfekt erhaltenen Stadtmauer mit Türmen. Die schönste Vertreterin des Schweizer Mittelalters ist natürlich die Altstadt von Bern mit ihren langen, gepflasterten und von Arkaden gesäumten Gassen, den kleinen Plätzen mit Brunnen, dem Rathaus mit seinen schönen Steinreliefs an der Fassade und der Käfigturn.
Renaissance, Barock, Neoklassizismus
Gegenüber der allgegenwärtigen Gotik ist die Renaissance in der Schweiz eher unauffällig. In der Deutschschweiz sind Erker, Türmchen, gotische Stufengiebel und elegante Renaissancehöfe mit Kolonnaden nicht selten anzutreffen. In der Mitte und im Süden, wo der italienische Einfluss stärker ist, setzte sich die Architektur durch. In Luzern erinnern der Palazzo Ritter und das Rathaus mit ihren buckeligen Fassaden an die Paläste der florentinischen Renaissance. Während die protestantische Reformation die christlichen Gebäude überall ihres dekorativen Reichtums beraubte und ihnen Tempel von großer Strenge entgegenstellte, wurde der Barock zur Waffe der ideologischen Rückeroberung. Überall wurde mit Kurven und Gegenkurven, Trompe-l'oeil und einer Fülle von Dekorationen, bei denen Stuck und Vergoldungen vorherrschten, gebaut oder rekonstruiert. Zwiebeltürme erscheinen am Himmel und die großen Stadtpaläste gestalten die Städte mit ihren majestätischen Prunktreppen, die zu prunkvollen Höfen führen, neu. Zu den Meisterwerken dieser Zeit gehören das Kloster Einsiedeln mit seinen prächtigen Fresken und Gemälden und seiner kompliziert gestalteten Bibliothek sowie die üppige Bibliothek der Abtei St. Gallen mit ihrem Intarsienparkett und den mit Stuck und Trompe-l'oeil verzierten Decken. Eine ornamentale Überladung, die an die Überschwänglichkeit des Rokoko grenzt. Das Ende des 18. Jahrhunderts wird mit den reinen Formen des Neoklassizismus ruhiger, die man vor allem in den "Campagnes" findet, großen Landgütern in der Lausanner Landschaft, die von eleganten Herrenhäusern dominiert werden.
Brodelndes 19. und frühes 20. Jahrhundert
Mit der industriellen Revolution begann eine Zeit unglaublicher technischer Fortschritte. In den großen Städten wurden prächtige Brücken gebaut, wie z. B. die Pont Saint-Antoine in Genf, die erste Hängebrücke, die mit Hilfe von Stahlseilen aufgehängt wurde. Auch Märkte und Einkaufspassagen erlagen den Sirenen dieser Stahlarchitektur, wie das schöne Erkerdach der Galerie Saint-François in Lausanne und die Markthallen von Montreux zeigen. Diese Verbindung von Architektur und Technik gipfelte in den prächtigen Kunstbauten entlang der neuen Eisenbahnlinien, die zwischen massiven Steinmauern und eleganten Metallsilhouetten wechselten. Die Eisenbahn ermöglichte auch die Entwicklung der ersten Touristenorte, die mit Hotels und Villen bevölkert wurden. An der Waadtländer Riviera wird diese Hotelarchitektur ihre volle Wirkung entfalten. Eugène Jost entwarf das Caux Palace, das auf einer 500 m langen Terrasse errichtet wurde und sich mit mittelalterlichen Wachtürmen, Renaissance-Kolonnaden und traditionellen Holzschnitzereien abwechseln sollte. Aber nicht nur Hotels, sondern auch Regierungsgebäude und große bürgerliche Villen sind von diesem erstaunlichen historisierenden Eklektizismus geprägt. Das Palais Eynard in Genf mit seinem neopalladianischen Stil, der in seiner Fassade mit ionischen Säulen gipfelt, das Opernhaus Zürich mit seiner neobarock verzierten Fassade, das sehr neugotische Château des Crêtes in Montreux, das Manoir de Ban in Corsier-sur-Vevey mit seinen kannelierten Pilastern und seinem neoklassischen Peristyl oder auch das Bundeshaus in Bern im Stil der Neorenaissance sind sehr schöne Beispiele dafür. Parallel dazu entwickelte sich auch der Heimatstil, der in den lokalen und regionalen Traditionen verankert war und geschnitztes Holz, behauenen Stein und Schmiedeeisen bevorzugte. In dieser Zeit kam es auch zu einer großen städtischen Erneuerung. Die großen Städte rissen ihre Befestigungen nieder, um sich zu vergrößern, die Landschaftsgestaltung nahm zu und die Stadtplanung wurde zur Wissenschaft erhoben, wie die neuen Stadtverläufe der Uhrenstädte La Chaux-de-Fonds und Le Locle zeigen. Dieses neue, rationale und funktionale Stadtschema, das in parallelen Streifen angelegt ist und Wohnhäuser und Werkstätten miteinander verzahnt, hat die beiden Städte in Fabrikstädte verwandelt. In La Chaux-de-Fonds entwickelte Charles L'Eplattenier, Professor an der École d'art, eine regionale Dekorationskunst, die formale Neuerungen des Jugendstils mit lokaler Inspiration verband und in Anlehnung an die Tannenbäume am jurassischen Horizont als "Sapin-Stil" bezeichnet wurde. Das Krematorium der Stadt aus jurassischem Kalkstein ist das repräsentativste Bauwerk dieses Stils.
Lob der Moderne
Als Geburtsland von Charles-Edouard Jeanneret, alias Le Corbusier, kann sich die Schweiz rühmen, die Wiege der Moderne zu sein. Die Villa Jeanneret-Pierret, auch bekannt als das Weiße Haus, hat noch neoklassizistische Züge, aber der Meister hat hier bereits seinen Modernismus durch die Prinzipien des Bandfensters und der Dachterrasse angedeutet. Der Stil von Le Corbusier entwickelte sich dann zwischen Kubismus und Rationalismus und befreite den Raum von der Schwere traditioneller Strukturen zugunsten eines freien Grundrisses, der nicht durch überflüssige Dekorationen gestört wurde. Form und Funktion vereinen sich in geometrischen und klaren Konstruktionen. Zu den großen Werken des Meisters gehören die türkische Villa mit ihrem erstaunlichen Stahlbetonskelett, das aus von quadratischen Stützen getragenen Decken besteht und einen offenen und modulierbaren Raum offenbart, die Villa "Le Lac" oder die Kunst des Minimalismus, das Gebäude Clarté in Genf, das wegen seiner freien Glasfassade "Glashaus" genannt wird und ein Meisterwerk des Erfindungsreichtums mit seinen Wohnungen mit offenem Grundriss und Schiebefenstern auf Kugeln (eine große Neuheit für die damalige Zeit!) darstellt), und nicht zu vergessen natürlich eines seiner letzten Werke, sein Pavillon ganz aus Glas und Stahl, der in Zürich zu einem öffentlichen Museum wurde, das seinem Werk gewidmet ist. Die Waadtländer Riviera ist einer der Nährböden des Modernismus in der Schweiz. Zu den Villen von Le Corbusier gehören die Villa Karma, ein von Adolf Loos neu gestaltetes, nacktes und schlichtes Gebäude, und die Villa Kenwin, die als "Bauhaus am Genfersee" bezeichnet wird und mit ihren Balkonen und Laubengängen horizontal ausgerichtet ist. Zur gleichen Zeit wurden in Dornach seltsame Gebäude errichtet, bei denen man keine rechten Winkel sehen kann, wie das monumentale Goetheanum aus Beton. Diese Gebäude folgen genau den Prinzipien von Rudolf Steiner, dem Theoretiker der Anthroposophie, der die materielle Welt als sichtbare Manifestation der geistigen Welt betrachtet. Das Land begann auch mit neuen städtebaulichen Forschungen. Die Gartenstadt Prélaz ist eine der ersten ihrer Art. Sie vereint Mehrfamilienhäuser und kleine Reihenhäuser in einem städtischen Ensemble, das sich an die Konturen des Lausanner Reliefs anpasst. Das zwei- oder dreistöckige Reihenhaus mit Garten ist die am häufigsten verwendete Wohnform, wie die Freidorf-Siedlung zeigt, die von Hannes Meyer, einem der Direktoren des Bauhauses, entworfen wurde. In der Nachkriegszeit wurden diese Siedlungen durch Großwohnsiedlungen ersetzt. Die berühmteste von ihnen ist Le Lignon in Vernier. Seine Silhouette in Form einer gebrochenen Linie erstreckt sich über eine Länge von 1065 Metern. Im krassen Gegensatz zu diesem Wohnmonumentalismus entwirft Pascal Häusermann rund um Genf eiförmige oder blasenförmige Häuser, ungewöhnliche Silhouetten, die durch sparsame Mittel und die Suche nach Funktionalität bestimmt werden. Erstaunlich!
Zeitgenössische Efferveszenz
Die Schweiz hat einige der größten zeitgenössischen Designer hervorgebracht. Mario Botta ist die Leitfigur der Tessiner Schule, die sich durch eine sensible und sinnliche Architektur auszeichnet, deren Linien sowohl von der Umgebung als auch von den individuellen Bedürfnissen der Nutzer inspiriert werden. Mario Botta ist berühmt für seine Bauten mit einfachen geometrischen Formen, die durch ein erstaunliches Licht- und Schattenspiel zum Leben erweckt werden und die Reinheit der verwendeten Materialien, allen voran Ziegel, zum Vorschein bringen. Zu den schönsten Werken des Architekten gehören die prächtige Kapelle auf dem Monte Tamaro, die Kirche San Giovanni Battista in Mogno mit ihrer wunderschönen Polychromie aus weißem Marmor und grauem Granit, das Jean-Tinguely-Museum in Basel, das ganz aus zartrosa Sandstein besteht, und das unglaubliche Spa des Tschuggen Grand Hotel. Livio Vacchini, ein weiteres prominentes Mitglied der Tessiner Schule, schuf die erstaunliche Ferriera in Locarno, deren schwarze Stahlgitterstruktur sowohl als Träger als auch als Kulisse dient. Eine weitere Leitfigur der Schweizer Architektur ist Peter Zumthor, der, bevor er Architekt wurde, Tischler war. Der Respekt vor dem Material, der in jedem seiner Entwürfe steckt, ist verständlich. Der Architekt bekennt sich zu keinem Stil, sondern zieht es vor, aus jedem seiner Bauwerke eine einzigartige architektonische Erfahrung zu machen, die mit der Geschichte des Ortes in Verbindung steht, wie zum Beispiel seine wunderschönen Thermen in Vals, die ganz aus lokalem Gneis bestehen. Ein Respekt vor dem Ort und seiner Geschichte, den man auch bei dem berühmtesten Architektenduo Herzog & de Meuron findet. Formale Strenge, klare Linien und einfache Volumen kennzeichnen ihre Bauten. Zu ihren bekanntesten Werken gehört der Turm des Roche-Instituts in Basel. Bernard Tschumi, der das Flon-Viertel in Lausanne mit seinen bewohnbaren Brücken völlig neu konzipierte, und Roger Diener, der das Kunsthaus Pasquart in Biel entwarf, einen erstaunlichen kubischen Monolithen, der mit dem ehemaligen Krankenhaus der Stadt verbunden ist, zählen zu den anderen großen Persönlichkeiten der Schweizer Architektur. Aber die Schweiz hat auch große Namen der internationalen Architektur beherbergt, insbesondere an zwei erstaunlichen Standorten. Der bekannteste ist das Vitra Design Museum und sein Campus. Das Hauptgebäude, eine Verschachtelung verschiedener Volumen in einer verdrehten Geometrie, ist das erste europäische Werk von Frank Gehry. Die Pavillons und Produktionshallen dort wurden von Tadao Ando, dem Büro SANAA, dem Büro Grimshaw und Alvaro Siza entworfen, während Renzo Piano ein "Mikrohaus" schuf. Herzog & de Meuron entwarfen das Vitra Haus, ein fünfstöckiges Giebelhaus mit Glasfassaden, das als Showroom dient, während Zaha Hadid in der Nähe die Feuerwache neu gestaltete, eine architektonische Skulptur mit einem Betonvordach, das in der Luft zu schweben scheint. Auf dem Campus der École polytechnique de Lausanne befinden sich das Rolex Learning Center mit seiner wellenförmigen Silhouette, das vom Büro SANAA entworfen wurde, das Art Lab, ein erstaunlicher Holzpavillon mit drehbarem und wellenförmigem Dach, der von Kengo Kuma entworfen wurde, und die Gebäude aus mehrfarbigem Glas von Dominique Perrault. Viele weitere zeitgenössische Schätze erwarten Sie im ganzen Land, wie das Kultur- und Kongresszentrum Luzern, ein von Jean Nouvel entworfenes Gebäude aus Glas und Stahl mit einem freitragenden Kupferdach, das Bürogebäude von Tamedia in Zürich, dessen 50 m lange Holzstruktur ohne Metallstützen von Shigeru Ban entworfen wurde, oder das wunderschöne Zentrum Paul Klee in Bern und das Museum der Fondation Beyeler in Basel, elegante Schöpfungen von Renzo Piano, die einen erstaunlichen Dialog zwischen Natur und Architektur schaffen.
Traditionelle Architektur
Beginnen wir damit, den Mythos des "Schweizer Chalets" zu entkräften. Dieses Modell, das sich über die ganze Welt verbreitet hat, ist überhaupt nicht schweizerisch! Es handelt sich in Wirklichkeit um eine idealisierte Vision der alpinen Rustikalität, die von europäischen Architekten erdacht wurde, um ihre wohlhabenden Kunden zufrieden zu stellen, die sich eine luxuriöse Rückkehr zur Natur leisten wollten. Diese idealisierte Vision der Schweizer Architektur ist jedoch nicht ganz unbegründet. Das Land ist in der Tat reich an volkstümlichen Schätzen. Da sind zunächst die ungewöhnlichen. Im Val Poschiavo begegnen Ihnen vielleicht erstaunliche kleine runde Gebäude aus Steinen, die ohne Mörtel übereinander geschichtet wurden und wie Iglus aussehen. Häufig handelt es sich dabei um Lagerräume. Das Bavonatal ist berühmt für seine Steinarchitektur, die aus den trockenen Steinhäusern des Tals (den Rustici) und den oft kreisförmigen Höhlenwohnungen mit Trockensteinwänden und Felsen als Dach (den Splüi) besteht. Diese Steinarchitektur findet man auch in Zermatt, das für seine Gädini bekannt ist, Gebäude, die auf flachen Steinplatten stehen, die wiederum von Pfählen getragen werden. Die Lärchenholzkonstruktion wird im Laufe der Zeit schwarz, wodurch die Wärme besser gespeichert werden kann. Das Dach ist mit schweren Felsplatten gedeckt, um die Stabilität des Ganzen zu erhöhen. Auch wenn der Stein sehr präsent ist, ist es natürlich das Holz, das in der traditionellen Architektur das bevorzugte Material bleibt. Die Häuser im Engadin und im Appenzell sind wahre Schmuckstücke. Ihre Fassaden sind Farbexplosionen, die durch die bemalten Tür- und Fensterrahmen rhythmisiert werden. Im Engadin wird an manchen Fassaden auch die Sgraffito-Technik angewandt, bei der die oberste Schicht des Putzes abgekratzt wird, um die Illusion von Reliefmustern zu erzeugen. Die Häuser in Appenzell sind berühmt für ihre großen Fensterreihen und ihre unterschiedlich geformten Giebel. Viele Holzhäuser in der ganzen Schweiz sind reich verziert: geschnitzte Balkone, Tore und Firstbalken, Friese und Lambrequins, die wie Spitzen gefertigt sind... Die Möglichkeiten des Holzes sind endlos! In den Alpenregionen haben Holzhäuser oft ein gemauertes Erdgeschoss, um Stabilität und Isolierung zu gewährleisten. Ein ausladendes Dach zum Schutz der Fassaden ist ebenfalls die Regel. Aber egal, ob sie aus Bohlen oder aus Fachwerk bestehen (wie die sehr schönen weiß gekalkten Häuser mit rotem Fachwerk in Marthalen), ob sie ein strohgedecktes Walmdach oder ein Satteldach aus Holzschindeln oder Ziegeln haben, alle diese Häuser zeugen von einer volkstümlichen Architektur, die in Harmonie mit der Natur gedacht ist. Die Schweiz hat ihren Ruf als Freilichtmuseum nicht verspielt!