Der Arbeitsmarkt in Georgien
Die Wirtschaft in ihrer sowjetischen Version ist in der georgischen Vergangenheit nicht so weit weg. Dennoch hat das Land mit einem Wachstum von bis zu 10 % im Jahr 2022 einen weiten Weg hinter sich und schneidet gar nicht so schlecht ab. Doch das Leben ist hart und die Ungleichheiten sind nach wie vor eklatant. Eine Erkundungstour durch das Land spiegelt dies deutlich wider. Die futuristischen Gebäude im Stadtzentrum von Tiflis oder in Batumi am Schwarzen Meer stehen im Kontrast zu den ländlichen Landschaften. Die von Pferden, Schweinen, Kühen oder Schafen verstopften Straßen führen manchmal an imposanten, verrosteten Fabriken vorbei, Überbleibsel aus Sowjetzeiten. Diese Bilder spiegeln gut ein Land der zwei Geschwindigkeiten wider, ein Georgien, das sich mit Gewalt der Welt und der Zukunft zuwendet, während viele Einwohner am Wegesrand vergessen werden.
Seit dem Zerfall des Ostblocks hat die georgische Gesellschaft einen zumindest heftigen Schock erlitten: Diejenigen, die von der nach sowjetischen Codes geplanten Gesellschaft abhängig waren, haben ihre Arbeitsplätze und ihr Einkommen verloren. Auf dem Arbeitsmarkt gliedert sich die Wirtschaft in zwei Achsen: den öffentlichen und den privaten Sektor. Der Arbeitsmarkt in Georgien erweist sich derzeit als außer Kontrolle geraten. Jeder Hochschulabsolvent träumt davon, eine Stelle in einem staatlichen Unternehmen zu bekommen, das für seine guten Gehälter, die manchmal höher sind als in der Privatwirtschaft, und für seine Arbeitsplatzsicherheit bekannt ist. In diesem Sektor gibt es noch immer eine sehr hohe Zahl überflüssiger Arbeitsplätze, die besser bezahlt werden als in einem Privatunternehmen. Ein gutes Netzwerk zu haben, ist von größter Bedeutung: Um die besten Chancen auf einen Job zu haben, muss man Verbindungen in hohen Positionen haben - eine arme Person wird es viel schwerer haben.
Überleben
Dann muss man auf allen Ebenen leben oder überleben. Ein Arbeitstag in einem Unternehmen beginnt in der Regel gegen 10 oder 11 Uhr und endet spät am Abend. Die georgischen Angestellten zählen ihre Bürostunden nicht, es wird bis spät in die Nacht gearbeitet. Diese kommen am Wochenende zur Arbeit zurück, wenn es nötig ist oder sie sogar krank sind. In der Regel arbeitet man vierzig Stunden pro Woche. Es wird sogar oft als verdächtig angesehen, das Büro zu früh zu verlassen! In Georgien wird nichts geschuldet. Jedes Familienmitglied versucht zu arbeiten - ein georgisches Kind kann mit elterlicher Zustimmung ab 14 Jahren auf den Straßen von Tiflis arbeiten, spät abends, im Sommer wie im Winter, jeden Tag. Ältere Damen verkaufen Erdnuss- oder Sonnenblumenkerne oder was auch immer sie können, stricken draußen ... Ihre Erzeugnisse müssen verkauft werden. Auf diese Weise tragen sie ihren Teil zum Familieneinkommen bei.
Einige Zahlen
Im Jahr 2024 beträgt das Durchschnittsgehalt in Tiflis etwas weniger als 600 €. Die Arbeitslosenquote liegt bei etwa 13 % und junge Menschen sind stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. Männer gehen mit 65 Jahren und Frauen mit 60 Jahren in Rente. Seit November 2018 unterstützt die in Tiflis ansässige Agence Française de Développement die Regierung bei der Einführung eines Reformsystems im Sozial- und Gesundheitssystem. 2014 wurde eine allgemeine Deckung eingeführt und vor kurzem eine Rentenreform umgesetzt - eine Notwendigkeit, wenn die monatliche Rente sehr niedrig ist. Anfang der 2000er Jahre war die soziale Absicherung praktisch nicht vorhanden. Das Gesundheitssystem ist auch heute noch mangelhaft oder überteuert.
Eine weitere Option: Unternehmer werden!
Bei der Wahl zwischen einem relativ niedrigen Gehalt für einen jungen Hochschulabsolventen oder der Gründung eines eigenen Unternehmens ist es nur ein kleiner Schritt, den viele junge Georgier gehen. so sind 45 % der georgischen Jugend Selbstunternehmer. In der boomenden Tourismusbranche gibt es viel zu tun! Deshalb wimmelt es in Tiflis von Gästehäusern. Die Gesetzgebung ist nicht zu anspruchsvoll, um ein Gästehaus zu eröffnen oder ein eigenes Unternehmen zu gründen. Touristen in einem Privatfahrzeug zu fahren und in ein paar Tagen das zu verdienen, was ein Manager in einem Unternehmen in einem Monat verdient, ist ein Dilemma, das nicht lange anhält... Allerdings muss man die Unwägbarkeiten von Angebot und Nachfrage auf dem Tourismusmarkt berücksichtigen. Westliche Unternehmen in Georgien sind für junge georgische Hochschulabsolventen sehr attraktiv. Sie bieten bessere Arbeitsbedingungen und ein höheres Gehalt. Innerhalb der Gesellschaft gilt es als prestigeträchtig, in einem westlichen Unternehmen zu arbeiten.
Kollektives Leben und soziales Erscheinungsbild
Trotz der Härte ihrer Lebensbedingungen sind die Georgier sehr stolze Menschen. Sie sind stolz auf Tiflis, auf ihr Land, ihre Kultur, ihre Gastronomie, ihr reiches Erbe, darauf, einem Land anzugehören, das eine so bewegte Geschichte hinter sich hat und Gegenstand so vieler Invasionen war, darauf, Angehörige eines Landes zu sein, das trotz aller historischen Stürme immer noch existiert.
Die Basis der Gesellschaft: der Clan
Der Clan ist neben dem Netzwerk das Rückgrat der georgischen Gesellschaft, insbesondere die Beziehungen, die man zu den als "wichtig" angesehenen Menschen unterhält. So ist das System der gegenseitigen Unterstützung von größter Bedeutung. Man verlässt sich bei allem auf sein Familiennetzwerk, sei es bei der Suche nach einem Job oder einer Wohnung. Man tauscht Privilegien aus, um einen Gefallen zu erhalten. Seit 2003 ist das, was man als Korruption bezeichnen könnte, jedoch nicht mehr so populär, auch wenn diese Überlegungen für viele eine Lebensweise darstellen. Die Familie im weitesten Sinne ist die bedingungslose Grundlage und die unumgängliche Struktur der georgischen Gesellschaft. In Georgien herrscht noch immer große Armut, die Ober- und Mittelschicht ist verschwindend gering. Man verlässt sich auf das System D. Ob im Geschäftsleben oder im gesellschaftlichen Leben allgemein: Kommunizieren ist die Devise. Die sozialen Strukturen, die allem zugrunde liegen, erklären also diese Leidenschaft, mittags, abends oder bei einem Drink essen zu gehen. So sind die traditionellen georgischen Feste besonders beliebt. Der wichtigste ist das Supra, das berühmte georgische Bankett. Jeder Anlass ist gut geeignet, um ein solches Fest zu veranstalten. In Georgien isst und trinkt man gerne und trifft sich mit Kollegen in einem Restaurant, um gute Beziehungen aufzubauen.
Showing off
In Georgien ist der Status wichtig. Auch wenn er manchmal weit von der Realität entfernt sein kann, muss man zeigen und sich zeigen, sich in einem schicken Luxusauto zeigen, ein hochwertiges Mobiltelefon zur Schau stellen und Markenkleidung tragen. Da die große Mehrheit der Georgier weit davon entfernt ist, im Gold zu schwimmen, zeigt man gerne Zeichen von Reichtum, um die Illusion zu erwecken, dass man zu dieser winzigen Klasse von Privilegierten gehört.
Frauen und Eheleben in Georgien
Es ist eine Welt der Männer. Sie beherrschen eine patriarchalische Gesellschaft. Zu Zeiten der Sowjetunion propagierte die kommunistische Ideologie die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Nach der Unabhängigkeit wurde eine sehr traditionelle Gesellschaft gefordert. In Georgien ist die Gleichstellung von Männern und Frauen ein echtes Thema. Wir sind noch weit davon entfernt. In den alten Denkweisen ist die Frau die Hüterin des Hauses, die Mutter, sie heiratet und kümmert sich um die Kinder. Die Statue der Mutter Heimat in Tiflis, die die Stadt dominiert, verkörpert all dies. Paradoxerweise ist die derzeitige Präsidentin, Salome Surabischwili, eine Frau, und Frauen finden sich zunehmend in Entscheidungspositionen in der Regierung oder als Leiterinnen des georgischen Fernsehens. Dennoch dominieren die Männer und Frauen werden oft auf Sekretariats- und Verwaltungsarbeiten beschränkt.
Die Würfel fallen schon bei der Geburt
Niemand ist unter demselben Dach untergebracht. Der Status der Frau in der georgischen Gesellschaft hängt von verschiedenen Kriterien ab, je nachdem, ob sie in der Stadt oder auf dem Land lebt, einer Minderheit angehört oder nicht, gebildet und privilegiert ist oder nicht. Eine Frau, die auf dem Land lebt und dem Diktat der traditionellen Gesellschaft unterliegt, hat kaum Karrieremöglichkeiten. Frauen in der Stadt haben ebenso wie Männer Zugang zu höherer Bildung. Die soziale Herkunft ist entscheidend für die Chancen: Eine Frau aus der gebildeten Mittelschicht kann wirtschaftliche Unabhängigkeit erlangen. Innerhalb der Familie muss das Mädchen der Mutter oft bei der Hausarbeit helfen, während der kleine Junge oft wie ein Königskind erzogen wird. Es wird nichts unternommen, um die Mutter bei der Arbeit zu unterstützen; wenige Krippenplätze erleichtern ihren Zugang zum Arbeitsmarkt nicht. So arbeiten etwa 55 % der Frauen im Vergleich zu 73 % der Männer. Die Gehaltsunterschiede sind eklatant: Das Gehalt eines Mannes kann sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor 88 % höher sein als das einer Frau. Im politischen Bereich ist der Zugang für Frauen noch komplizierter. Unter den 150 Abgeordneten sind Frauen kaum vertreten: Vor der Wahl im Jahr 2024 werden es nur etwa 20 sein. Das dramatischste Phänomen ist jedoch nach wie vor die häusliche Gewalt, die vor allem in ländlichen Gebieten, aber auch in städtischen Gebieten und Flüchtlingslagern immer noch weit verbreitet ist. Besorgniserregend ist, dass sie in der Mentalität der georgischen Männer weitgehend akzeptiert wird. Aufgrund des Gewichts der Religion ist die Gesellschaft sehr sexistisch; eine Vergewaltigung ist ein geringfügiges Vergehen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Frau immer noch auf die häusliche Arbeit beschränkt ist, zum Nachteil einer öffentlichen gesellschaftlichen Stellung.
Verheiratet oder unverheiratet: Die Familie, der wahre soziale Kern
Vor der Heirat lebt man noch selten zusammen und nur wenige Paare bleiben unverheiratet. In ländlichen Gegenden, insbesondere bei Minderheiten, kann eine Frau viel zu früh verheiratet und Mutter werden, manchmal gerade mal als Teenager. Nichts ändert sich am Gewicht der Traditionen, so skandalös sie auch sein mögen. Die Männer gehen ins Ausland, um zu arbeiten, und die Frauen werden zum Oberhaupt des Haushalts und zur einzigen Einkommensquelle. Es gibt also noch viel zu tun: sehr unterschiedliche Fälle je nach Herkunft und eine Mentalität, die sich nur sehr langsam ändert. Die Institution der Ehe ist zwar nach wie vor zentral und "ein sozialer Pfeiler", der ein sehr hierarchisches patriarchalisches System widerspiegelt, doch Scheidungen werden immer häufiger. Es ist schwierig, eine Frau, die in der georgischen Gesellschaft eine leitende Position innehat, mit einem aserischen Mädchen zu vergleichen, das auf dem Land lebt und sehr jung zwangsverheiratet wird.
Wohnen und Familienleben
Bei der Unabhängigkeit erlebt das Land mit der Liberalisierung der Wirtschaft einen enormen Anstieg der Lebenshaltungskosten. Das ist für viele ein soziales Drama. Staatliche Hilfen fallen weg, Infrastrukturen wie Kindergärten oder öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser verfallen. Die Mieten sind so teuer, dass verheiratete Paare zu den Eltern des Ehepartners ziehen. Um die hohen Kosten und die Schwierigkeit des Lebens auszugleichen, ist die gegenseitige Unterstützung in der Familie besonders wichtig. Georgische Männer leben oft bei ihren Eltern. Andersherum werden die Eltern von dem älteren Bruder unter den Geschwistern versorgt. Ein Mann kann mit seiner Frau bei seinen Eltern wohnen bleiben oder geschieden sein. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Mann bei seinen Eltern wohnen bleibt, und es ist Tradition, dass er sie finanziell unterstützt, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, sich selbst zu versorgen.
Seidenstraße, Drogenstraße
Immer noch eine ideale Lage: Georgien ist aufgrund seiner geografischen Lage der ideale Drogenumschlagplatz zwischen Russland, der Türkei und dem Schengenraum, und zwar in beide Richtungen: Opiate aus Zentralasien, synthetische Opiate wie Heroin u. a., die in Aserbaidschan hergestellt werden, türkische und iranische Kanäle oder "Krokodil", ein Amphetamin, das für den Eigenbedarf hergestellt wird, "Subutex", das aus Europa importiert wird. Cannabis ist die am häufigsten konsumierte Droge in Georgien. Angesichts des harten Vorgehens der Regierung gegen den Drogenhandel sind "selbstgemachte" Drogen auf dem Vormarsch. Seit 1991 sind Drogenhandel und -konsum explosionsartig angestiegen: 53.000 Drogenabhängige bei einer Bevölkerung von 3,7 Millionen Einwohnern. Dem gegenüber steht eine Macht, die auf Nulltoleranz setzt: zwei Monatsgrundgehälter als Geldstrafe oder acht bis zwanzig Jahre Gefängnis, wenn ein Georgier mit einem Gramm Heroin erwischt wird. Angesichts des Machtmissbrauchs einer Polizei, die ihre Befugnisse weit überschreitet, um jeden Bürger zu erwischen, zu verurteilen oder fälschlicherweise zu verurteilen, ist seit einigen Jahren eine Debatte entbrannt: Wenn die Politik der "Nulltoleranz" nicht funktioniert, ist es dann nicht an der Zeit, das Problem aus einem anderen Blickwinkel anzugehen? In Georgien ist es eine wahre Plage, die Antwort auf die Debatte steht noch aus...