Klassische Musik
Die Niederlande sind wie ihr Nachbar Deutschland ein Land, das die klassische Musik liebt. Im Gegensatz zu den Niederlanden haben sie jedoch nur einen geringen Beitrag zur Musikgeschichte geleistet. Das bedeutet nicht, dass es in den Niederlanden keine hochwertigen Ensembles oder Konzertsäle gibt, ganz im Gegenteil. Und es bedeutet noch weniger, dass es in den Niederlanden im Laufe der Zeit keine interessanten oder talentierten Komponisten gegeben hat. Obwohl sie außerhalb ihrer Grenzen weitgehend unbekannt sind, sind hier einige Namen, die die niederländische Musikkomposition tief geprägt haben.
Im 17. Jahrhundert war eine der wichtigsten Figuren des Landes Jan Pieterszoon Sweelinck (1562-1621), ein Komponist zwischen Spätrenaissance und Frühbarock, der für die rhythmische Komplexität seiner Kompositionen immer noch sehr geschätzt wurde.
Zur gleichen Zeit war der Glockenspieler, Organist, Flötist und Komponist Jacob van Eyck (1590-1657) einer der berühmtesten niederländischen Musiker seiner Zeit.
Im 18. Jahrhundert, mitten in der Herrschaft des Barock, war Pieter Hellendaal (1721-1799) der einzige niederländische Komponist, der außerhalb der Niederlande bekannt war. Im folgenden Jahrhundert war es Johannes Verhulst (1816-1891), der sich in einem Robert Schumann ähnlichen Stil hervortat. Er war zu seiner Zeit sehr einflussreich und blieb einer der beliebtesten Komponisten des Landes.
An der Schnittstelle zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert traten Henriette Bosmans (1895-1952), eine Pianistin und Komponistin, die zu Lebzeiten berühmt war, aber nie der Nachwelt bekannt wurde (ihr bewegtes Leben und ihr Werk verdienen es, näher betrachtet zu werden), und Alphons Diepenbrock (1862-1921) auf. Diepenbrock, der mit Mahler, Strauss und Schönberg befreundet war, schuf eine eigene Musiksprache, die sich aus der Polyphonie des 16. Jahrhunderts und den Einflüssen von Wagner und Debussy speiste.
Im 20. Jahrhundert trifft man auf denjenigen, der gemeinhin als eine der wichtigsten Persönlichkeiten der modernen niederländischen Musik angesehen wird: Willem Pijper (1894-1947). Zunächst von der deutschen Spätromantik und insbesondere Mahler beeinflusst, beschäftigte sich Pijper nach dem Ersten Weltkrieg mit der atonalen Musik. Als Avantgardist, der nichts von seiner emotionalen Kraft einbüßte, war Pijper eine echte Seminarfigur. Das gilt auch für den anderen großen Namen der niederländischen Komposition: Louis Andriessen (1939-2021). Als großer Avantgardist dekonstruierte er die Musiksprache seiner Zeit und wurde zum Pionier des Serialismus in den Niederlanden - mit Series im Jahr 1958 und Nocturnen im Jahr 1959 -, bevor er zu einem der wichtigsten Bannerträger der minimalistischen Strömung wurde. Einer seiner engen Vertrauten und Schüler ist kein Geringerer als Michel van der Aa, ein Komponist, der für seine Inszenierungen und Themen im Zusammenhang mit dem Ego, Mensch und Maschine usw. viel Beachtung fand.
Während Komponisten nur selten über die niederländischen Grenzen hinaus bekannt sind, sind Dirigenten auf der ganzen Welt bekannt. Der berühmteste unter ihnen war natürlich der große Bernard Haitink (1929-2021). Als absoluter Meister des romantischen symphonischen Repertoires leitete er unter anderem 27 Jahre lang das Concertgebouw-Orchester in Amsterdam, das London Philharmonic Orchestra, die Staatskapelle Dresden und das Chicago Symphony Orchestra (an der Seite von Pierre Boulez). Er ist ein ausgezeichneter Dirigent von Beethoven, Brahms und Mahler und bleibt eine Referenz für viele junge Dirigenten und Musikliebhaber. Ein weiterer bemerkenswerter, wenn auch diskreterer Dirigent ist Jaap van Zweden, der als Leiter des New York Philharmonic glänzt, wo er die Subtilität und Präzision seines Dirigats zum Einsatz bringt. Jaap van Zweden ist übrigens der erste Dirigent, der die beiden niederländischen Wunderkinder am Klavier, die Brüder Lucas und Arthur Jussen, im Jahr 2006 im Alter von 10 und 13 Jahren dirigiert hat. Dies ist umso beeindruckender, als die Szene im Concertgebouw, dem Tempel der Klassik, stattfand. Für viele Musikliebhaber der beste Saal der Welt, hat sich der Ort eine internationale Aura aufgebaut, indem er neoklassizistische Schönheit, perfekte Akustik und ein außergewöhnliches Programm miteinander verbindet. Vor allem aber ist es die Heimat des Königlichen Niederländischen Orchesters, eines der renommiertesten Orchester der Welt, das für seine brillanten Interpretationen bekannt ist und dessen Dirigentenliste schwindelerregend ist: Haitink, Chailly, Jansons und Daniele Gatti... Liebhaber der Klassik sind sich einig: Man ist nicht wirklich in Amsterdam gewesen, wenn man nicht im Concertgebouw gehört hat. Liebhaber der Opernkunst hingegen können im Programm des Muziektheaters einige Wunder finden. Das einzige Opernhaus der Niederlande, ein riesiger Komplex mit 1600 Plätzen und perfekter Akustik, ist eines der Gebäude, die die Einheimischen so gerne hassen. Der Grund dafür? Seine strenge Architektur, die von dem "pragmatischen Modernisten" Wilhelm Holzbauer entworfen wurde. Das Muziektheater ist die Heimat der DNO (De Nederlandse Opera), die unter der Leitung von Pierre Audi, der 30 Jahre lang künstlerischer Leiter der DNO war, zu einem internationalen Ensemble herangewachsen ist. Die zeitgenössische Neuinterpretation von Klassikern, die Öffnung gegenüber anderen Künsten und ein großer Stellenwert für Innovation sind die drei Säulen der Inszenierung der DNO. Mitte August verpassen Musikliebhaber das GrachtenFestival, bei dem jedes Jahr um diese Zeit klassische Musik in rund 250 Konzerten und Feiern in der ganzen Stadt - auch auf Booten und an den Ufern der Kanäle - zu einem oft geringen Preis (manchmal sogar umsonst) gefeiert wird. Eine der süßesten Arten, die Hauptstadt zu genießen. Letztere hat jedoch kein Monopol auf die Klassik. Das Rotterdams Philharmonisch Orkest, das etwas im Schatten seines Amsterdamer Cousins steht, ist ebenfalls von ausgezeichneter Qualität. Dies wird durch die prestigeträchtige Liste der Dirigenten - James Conlon, Jeffrey Tate, Valery Gergiev, Yannick Nézet-Séguin... - und die Qualität der Aufnahmen bestätigt. Das Ensemble tritt in De Doelen auf, einem großen Musikkomplex, der im Laufe der Zeit zu einem Muss geworden ist.
Jazz
Das North Sea Jazz Festival, eine der größten europäischen Jazzveranstaltungen, die seit 1976 jährlich in Rotterdam stattfindet, hat in den letzten vierzig Jahren die Weltspitze des Jazz in die Niederlande gebracht. Die niederländische Jazzszene wurde durch die vielen Stars bereichert und hat nach und nach viele bekannte Namen hervorgebracht. Zu ihnen gehören Misha Mengelberg, ein Pianist, der dem Fluxus nahestand und mit Derek Bailey und Eric Dolphy zusammenarbeitete, sowie der Schlagzeuger Han Bennink, eine Koryphäe des Free Jazz. Willem Breuker ist ein wichtiger Teil des internationalen Aufschwungs des niederländischen Jazz. Der ikonoklastische und avantgardistische Saxophonist und produktive Komponist prägte die europäische Avantgarde mit seinem Stil, der sowohl die traditionelle als auch die gelehrte Musik umfasst. Eine Zeit lang arbeitete er mit dem Schlagzeuger Pierre Courbois zusammen, einem Pionier des lokalen Free Jazz und einer Persönlichkeit seines Fachs. Heute steht der niederländische Jazz oft an der Spitze der Verkaufszahlen, getragen von großen weiblichen Stimmen wie dem Weltstar Caro Emerald, der mehrfach ausgezeichneten Fay Claassen oder Denise Jannah, die bei Blue Note - dem renommiertesten Jazzlabel der Welt - unter Vertrag steht. Amsterdam ist von Natur aus eine Jazzstadt. Vielleicht ist es der Nebel am Tag oder die reflektierenden Neonröhren auf den Pflastersteinen in der Nacht. Aber in den Straßen von Amsterdam weht ein ziemlich sanfter Spleen, der dem Jazz sehr zuträglich ist. Kein Zufall, dass es in der Hauptstadt viele Orte gibt, an denen man ihn live erleben kann. Der am wenigsten intime, aber zweifellos beeindruckendste ist das Bimhuis. Dieses 2005 eröffnete und im ultramodernen Muziekgebouw-Komplex gelegene Haus des Jazz hat jedoch eine kleine Schwäche für die Avantgarde und die Improvisation. Eine klassischere Möglichkeit, dem touristischen Leidseplein zu entfliehen, ist das Jazz Café Alto, in dem man live Jazz hören kann (oft Easy Listening). In der Nähe der Universität befindet sich das "Engelbewaarder", ein kleines, gemütliches Literaturcafé mit Aussicht, in dem man sich in Free Jazz und hitzigem Geplauder verlieren kann. Die besten Adressen in Rotterdam sind das Jazzcafé Dizzy, ein Jazzclub mit den besten Künstlern der Szene, und das Lantaren Venster, ein Kino und Jazzkonzertlokal.
Aktuelle Musik
Es überrascht nicht, dass die junge niederländische Kreativszene in Aufruhr ist und viele zeitgenössische Künstler auf internationaler Ebene glänzen. Das prominenteste Beispiel ist Altin Gün, eine in Amsterdam ansässige Band des "anatolischen Pop". Die aus der türkischen Diaspora stammenden Mitglieder greifen die großen Pop- und Psychedelic-Rock-Standards auf, die ihre Eltern oder Großeltern gehört haben, und geben ihnen eine moderne Interpretation. Aber sie sind bei weitem nicht die einzigen: Jacco Gardner und sein Barockpop, Thomas Azier und sein mysteriöser Pop, Rimon, die niederländische Jorja Smith, Gaidaa, ein aufsteigender Stern am Soulhimmel, Sevdaliza, eine Totalkünstlerin der Elektronik und würdige Nachfolgerin von Bjork, oder De Ambassade, Post-Punk in der Tradition der kultigen The Ex, sind nur einige Beispiele für die Hyperaktivität der lokalen Szene.
Auch die Niederlande haben eine recht üppige Hip-Hop-Szene. Hier kennt man Lil' Kleine und Ronnie Flex, da ihr Hit Drank & Drugs viele Franzosen amüsiert hat (der Produzent des Titels wird übrigens "Jack $hirak" genannt, was zeigt, dass unsere Präsidenten Rapper auf der ganzen Welt inspirieren). Aber auch Boef, ein in Aubervilliers geborener französisch-niederländischer MC, der seine Karriere lieber in den Niederlanden aufbaute (zu Recht, denn er ist dort sehr erfolgreich), Ali B, der den offiziellen Song der niederländischen Mannschaft für die Fußballweltmeisterschaft 2006 komponierte, sowie Sevn Alias, Josylvio und Bizzey, die zu den angesagtesten Rappern gehören, sind im Land beliebt.
Aber wenn es einen Bereich gibt, in dem sich die Niederlande auszeichnen, dann ist es die elektronische Musik. Das erste Album mit elektronischer Musik wurde von einem niederländischen Pionier aufgenommen: Dick Raaijmakers (1930-2013), besser bekannt (wenn auch unbekannt) als Kid Baltan. Mitte der 1950er Jahre komponierte er Song of the Second Moon und Colonel Bogey, zwei rein elektronische Nuggets.
Seitdem sammelt das Land Meister ihres Fachs: Legowelt, ein Synthesizer-Wunderkind, Tom Trago, San Proper, Upsammy, Coco Bryce und sein in London hoch angesehener Dschungel oder Fatima Yamaha - Namen, um die sich die Techno- und House-Clubs und -Festivals reißen. Amsterdam ist ebenso wie Berlin die Welthauptstadt des Techno und anderer elektronischer Musik. Der erstaunlichste (und coolste) Ort, um elektronische Musik zu hören, ist die De School, eine ehemalige technische Schule, die heute der Tempel dieser Disziplin ist. Dieses brutalistische Juwel, das im Westen der Hauptstadt liegt, ist wegen seiner raffinierten Programmgestaltung, seiner Liebe zum Design und seiner rohen und kunstvollen, sehr berlinerischen Atmosphäre einen Besuch wert. Ein einzigartiges Erlebnis, das Sie zu jeder Tages- und Nachtzeit genießen können, da der Ort die 24-Stunden-Genehmigung besitzt. In Amsterdam Noord heißt das Muss NSDM, ein ehemaliges Marineviertel, das in ein kreatives Underground-Dorf umgewandelt wurde. Hier trifft man auf die Stützen des lokalen Nachtlebens wie Pllek, eine Ex-Hangar, die zur Bar und zum Club wurde, mit den Füßen im Sand oder Garage noord. Ebenfalls am Nordufer des IJ gelegen, beherbergt dieser kleine, aber kunstvolle Ort Taschenpartys, die ebenso intim wie undergroundig sind. Im Zentrum der Stadt befindet sich ein kleines Juwel: OT301. Das OT301, ein ehemaliges besetztes Haus, das zur Kunstplattform wurde, hat seinen libertären Geist - ein avantgardistisches Programm und freie Preise - bewahrt und ist dennoch zu einem festen Bestandteil des Amsterdamer Nachtlebens geworden. Und natürlich darf auch das Dekmantel-Festival nicht fehlen, das jedes Jahr im Großraum Amsterdam mehrere Tage lang die besten Vertreter des elektronischen Undergrounds zusammenbringt.
Theater und Tanz
In der allgemeinen Vorstellung ist der Tanz in den Niederlanden ein Pas de deux zwischen dem hyperzeitgenössischen Nederlands Dans Theater in Den Haag und dem sehr klassischen Niederländischen Nationalballett in Amsterdam. Wenn das einmal gestimmt hat, dann immer weniger. Unter der Leitung von Ted Brandsen, der seit 2012 Direktor ist, wirft das Niederländische Nationalballett einen sehr modernen Blick auf klassische Werke (etwa zwei bis drei Ballette pro Jahr). Eine Wende, die sich auszahlt: Die Kompanie gilt mittlerweile als eine der fünf besten der Welt. Ein Wunderwerk, das seinen Platz im Muziektheater gefunden hat, einem der größten und prunkvollsten Theater Europas, in dem man auch die Aufführungen der Nationaloper genießen kann. Vor Brandsen waren es drei weitere große Namen der niederländischen Choreografie, die das Niederländische Nationalballett in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf die internationale Bühne brachten: Toer van Schayk, Rudi van Dantzig und Hans van Manen. Toer van Schayk ist ein Tausendsassa: Tänzer, Choreograf, Bühnenbildner, aber auch Kostümbildner, Maler und Bildhauer. Als Tänzer haben ihn seine eloquenten und tiefgründigen Interpretationen zu einem der beliebtesten Solisten des Landes gemacht. Als Choreograf hat er ein einzigartiges Tanzvokabular entwickelt. Der zweite, Rudi van Dantzig, verband klassischen und modernen Tanz zu einer neuen Sprache. Eine Formel, die den großen Rudolf Nurejew begeisterte, mit dem er ein künstlerisches und freundschaftliches Abenteuer erlebte. Der dritte im Bunde, Hans van Manen, ist zweifellos der bekannteste von allen. Dieser große Meister der Choreografie wird sehr oft gefeiert, auch in Frankreich. Neben der Nationale Opera & Ballet in Amsterdam ist das Theater Rotterdam eine sehr gute Bühne für den Tanz im Land, wo regelmäßig eine berühmte lokale Kompanie auftritt: Scapino Rotterdam. Erwähnenswert ist auch das Julidans-Festival, das jeden Juli Kompanien aus der ganzen Welt in die Hauptstadt bringt.