Schule und Militärdienst
Ab 1774 schreibt Kaiserin Maria Theresia sechs Schuljahre vor. Heute beginnt der Schulbesuch im Alter von 6 Jahren und junge Österreicher müssen bis zum Alter von 15 Jahren in der Schule bleiben. Im Gegensatz zu den Franzosen gehen die österreichischen Schulkinder jeden Tag außer sonntags zur Schule, aber ihre Tage sind kürzer. Der Unterricht beginnt um 8 Uhr und endet in der Regel gegen 13 Uhr. Dieses System wird jedoch von vielen Eltern kritisiert, die sich den Nachmittag nicht freihalten können. Die Koedukation in den öffentlichen Schulen ist seit 1975 nachgewiesen. Die erste Schulstufe dauert vier Jahre. Mit 10 Jahren kann der Schüler dann zwei Wege einschlagen: entweder einen kurzen Zyklus, der mit einem Jahr Polytechnikum und einer anschließenden einjährigen Lehre in einem Unternehmen endet, oder einen langen Zyklus von 8 Jahren, der zur Matura führt, die unserem Abitur entspricht. Es gibt jedoch Übergänge zwischen diesen beiden Bildungsgängen, und die technische Bildung ist weit weniger in Verruf geraten als in Frankreich. Das österreichische Studienjahr ist in zwei Semester unterteilt, unabhängig von der Art des angestrebten Abschlusses. Lange Zeit waren bestimmte Studiengänge vorrangig Österreichern vorbehalten. Ausländer wurden im Rahmen der verfügbaren Plätze zu diesen Studiengängen zugelassen. Seit 2005 ist dies unter dem Zwang der Europäischen Union nicht mehr der Fall. Diese neue Regelung führte zu einem massiven Zustrom deutscher Studenten und zu ernsthaften Problemen bei ihrer Aufnahme, die bis heute andauern.
Außerdem gehört Österreich zu den wenigen europäischen Ländern, zu denen Zypern, Dänemark, die Schweiz und Griechenland gehören, die am Wehrdienst festhalten. Bei einem Referendum im Januar 2013 sprachen sich fast 60 % der Österreicher für seine Beibehaltung aus. Der Wehrdienst dauert sechs Monate und betrifft jedes Jahr 22 000 Personen. Für diejenigen, die sich dem Wehrdienst entziehen möchten, gibt es eine Alternative in Form eines 9-monatigen Bürgerdienstes.
Einige Charakterzüge und der Wiener Unterschied
Die Österreicher sind Germanen. Das setzt einige spezifische Charaktereigenschaften voraus. Sowohl im Berufs- als auch im Privatleben sind die Dinge gerne klar und eher eckig. Dennoch haben die Österreicher eine Kultur, die von slawischen, ungarischen und italienischen Einflüssen ebenso geprägt ist wie von germanischen. In Österreich nimmt man sich gerne Zeit und lässt sich nicht zu sehr hetzen. Die Familie hat einen hohen Stellenwert, Strenge ist wichtig, und die Zugehörigkeit zur katholischen Religion ist immer noch wichtig. Die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist geringer als in Frankreich, auch wenn die neue Generation diesen Zustand erschüttert. Darüber hinaus zeichnet sich die Jugend durch recht freizügige Sitten aus und Homosexualität wird relativ gut toleriert. Die Entkriminalisierung der Homosexualität in Österreich geht auf das Jahr 1971 zurück. Während Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender in Österreich auf Schwierigkeiten stoßen können, die Nicht-LGBT-Personen nicht kennen, ist dies in der Hauptstadt weitaus weniger der Fall. Wien stellt seine Toleranz und Offenheit zur Schau. Der Erfolg der Vienna Pride ist einer der sichtbarsten Ausdrücke dafür. Zwar steht das Adoptionsrecht allen offen, doch wird es in Bezug auf ein homosexuelles Paar noch immer nicht akzeptiert. In der Praxis unterscheidet sich nichts von dem, was man aus Frankreich oder Belgien kennt. Außerdem sind die Abtreibungsgesetze mit denen in Frankreich vergleichbar.
Xenophobie und Identitätsgefühl
Der Aufschwung der extremen Rechten in Österreich hat bei den europäischen Nachbarn des Landes eine Kontroverse ausgelöst. Medienhetze und Vorverurteilungen - die Österreicher wurden alle in ein und dasselbe Boot geworfen, was bei vielen auf Unverständnis stieß. Einigen Analysen zufolge hätte dieser Anstieg des Rassismus gestoppt werden können, wenn Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso wie Deutschland das volle Ausmaß seiner Verwicklung in die Vernichtung durch die Nazis erkannt hätte. Die Fremdenfeindlichkeit wäre also bis in die 1980er Jahre, ein Jahrzehnt, in dem die Arbeitslosigkeit stark anstieg, im Verborgenen geblieben. Gibt es in Österreich eine ausgeprägtere nationale Identität als anderswo? Zwar mögen es die Österreicher nicht, wenn sie mit den Deutschen verwechselt werden, aber sie pflegen ihr Identitätsgefühl nicht übermäßig. Der Wille, einem gemeinsamen Volk anzugehören, scheint hier letztlich viel weniger ausgeprägt zu sein als der Wunsch, die eigene regionale Identität zu behaupten.
Umweltbewusste Bürger
Es ist eines der europäischen Länder, in denen das Umweltbewusstsein am stärksten ausgeprägt ist, ähnlich wie in Schweden oder Finnland. Auch das politische Gewicht der Grünen ist eines der stärksten in Europa. Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung ist keine Modeerscheinung, sondern fest in der Mentalität der Menschen verankert. Die Mülltrennung ist schon lange Teil des täglichen Lebens. Die Österreicher halten sich an eine sehr genaue Mülltrennung. Papier, Plastik und der ganze "Rest" werden getrennt. Kartonverpackungen mit einer Metallfolie im Inneren, die oft Milch oder Fruchtsäfte enthalten, werden gesondert gesammelt und zusammengeschnürt. Für Glas gibt es für jede Farbe einen eigenen Behälter. Der gesammelte Abfall erzeugt zum Teil die Energie, die für die Fernwärme benötigt wird. Die Müllverbrennungsanlage Spittelau, ein städtisches Kunstwerk, das von dem Künstler und Architekten Hundertwasser entworfen wurde, vollzieht in Wien diese Umstellung. Darüber hinaus betreibt Österreich seit einigen Jahren eine sehr aktive Anti-Atomkraft-Politik und verzichtet seit 1978 auf Kernenergie für den Eigenverbrauch. Die Lebensqualität in Österreich ist bemerkenswert: saubere Luft, klares Wasser, Respekt vor Fußgängern und Radfahrern. Das Land ist im Umweltbereich sehr fortschrittlich, und ein weiterer wichtiger Faktor ist seine Freundlichkeit.
Grüne, soziale und vorbildliche Stadtplanung
Die österreichische Hauptstadt ist die erste grüne Metropole für ihren öffentlichen Nahverkehr, ihre Naturgebiete, ihre sanften Wege, ihre Müllverbrennungsanlage und vieles mehr. Die österreichische Hauptstadt gehört zu den lebenswertesten Städten und ist führend im Bereich des sozialen und umweltfreundlichen Wohnungsbaus.
In Wien wohnen 60 % der Bevölkerung in Wohnungen mit Mietobergrenzen und zwei Drittel der Neubauten sind für geförderte Wohnungen vorgesehen. Darüber hinaus muss jedes Immobilienprogramm eine Charta von Umweltstandards erfüllen.
Vielfältige Wurzeln und galoppierender Urbanismus
Im Stadtzentrum reihen sich mittelalterliche Gebäude, gotische Bauten, barocke Paläste, Jugendstilgebäude und prächtige Plätze aneinander. Gleichzeitig ragen Wolkenkratzer im Geschäftsviertel und futuristische Gebäude im historischen MuseumsQuartier in die Höhe. Graffiti-Künstler bringen ihren modernen und verrückten künstlerischen Touch entlang des Donauufers ein.
Diese Stadt wird in Schichten aufgebaut. Nach dem Jugendstil, der Ende des 19. Jahrhunderts aufkam, fröhlich und extravagant, belebte eine galoppierende Urbanisierung das rote Wien der 1930er Jahre unter der Sozialdemokratie. Innerhalb weniger Jahre entstanden 60.000 Wohnungen, darunter der emblematische Karl-Marx-Hof, der sich über einen Kilometer erstreckt und 1.325 komfortable Wohnungen mit einer durchschnittlichen Wohnfläche von 40 bis 45 m² umfasst - ein Traum für die Arbeiterfamilien der damaligen Zeit! Große Höfe und Gemeinschaftsräume, Orte der Begegnung und des Austauschs, ein Urbanisierungsmodell, das noch immer studiert wird und inspirierend ist. So gelingt es Wien, Jahrhunderte, Bevölkerungsgruppen und Kunstrichtungen harmonisch miteinander zu verbinden. Ebenso entstehen Errungenschaften, die neue Bürgerschaften ermöglichen.
Hundertwasser, Utopist und Visionär
Friedensreich Hundertwasser (1928-2000) ist eine weitere Referenz, die Touristen und Studenten der Stadtplanung anzieht. Seinem originellen, von geraden Linien befreiten Stil fügt er Farben, Geselligkeit und eine Umweltkomponente hinzu. Dieser Öko-Künstler, der die Natur in einer globalen Kunst verherrlichte, war ein Vorreiter der Verteidigung einer nachhaltigen Entwicklung und prangerte die Konsumgesellschaft in seiner Lebensweise selbst und durch seine Werke an. Das Gebäude, in dem das 1991 eröffnete erste Museum Österreichs mit dem Gütesiegel " Green Museum " untergebracht ist, ist selbst ein Werk des Künstlers. Hundertwasser hatte die ehemalige Möbelfabrik Bugholz zu einem warmen und offenen Ort umgestaltet. Und es ist ein Zauber aus fröhlicher, origineller und farbenfroher Architektur mit begrünten Räumen, fließendem Wasser, welligem Boden, furzenden Farben, Gold und Silber, Holz und Keramik, Glas, Ziegeln, Steinen, Metall, Räumen zum Träumen, Ausruhen und einer Dachterrasse mit Bäumen, Gemüsegarten und Bienenstöcken. Heute beherbergt dieses Kunst Haus Wien
, Künstlerhaus Wien, eine Retrospektive seiner Werke und programmiert Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, die die Bedrohungen der Biodiversität anprangern. Um Ihre Entdeckung von Hundertwasser zu vervollständigen, sollten Sie sich in der Nähe das berühmte "Hundertwasserhaus" ansehen. Von der Gemeinde Wien in Auftrag gegeben, wurde dieses experimentelle, humanistische und ökologische Gemeinschaftswohnhaus 1983 entworfen. Auf der Bühne: Farben, Wellen und Vergoldungen. Nichts Regelmäßiges oder Symmetrisches, sondern Kurven, um die Natur zu imitieren, Vegetation, Gemeinschaftsräume. Etwas davon ist in der Wiener Lebensart geblieben.MuseumsQuartier und Ökoquartiere
Das 2001 eingeweihte MuseumsQuartier, ein neuer Kultur- und Volksraum, harmonisiert die Jahrhunderte und ist das Ergebnis eines monumentalen Baus mit einem phänomenalen Budget. Aber was für ein Erfolg! In diesem Kunstkomplex von internationalem Rang in der Nähe des Stadtzentrums genießen junge Einheimische und Wiener Familien den riesigen Innenhof mit großen, farbenfrohen Designerbänken. Auffällig ist die Harmonie zwischen den renovierten Gebäuden aus der Barockzeit, darunter die ehemaligen Stallungen und der Kaiserhof, die das Ensemble strukturieren, und den Neubauten wie dem Mumok, dem Museum für moderne Kunst, mit seiner futuristischen Architektur.
Und es werden immer neue Stadtteile errichtet, die jährlich 10.000 bis 20.000 neue Einwohner aufnehmen. So auch der Nordbahnhof, der 2014 auf einem ehemaligen Bahngelände rund um eine Grünfläche errichtet wurde. Jeder Block hat seinen eigenen Architekten und sein eigenes Projekt (siehe Kasten). Die Bewohner eines Gebäudes ohne Autos und Parkplätze konnten so Fläche für ihre Fahrradgarage und Gemeinschaftsräume freimachen. In der Gegend um den Aspangbahnhof wird die größte Plusenergiehaussiedlung Europas gebaut.
Wohnprojekt, ein inspirierendes partizipatives Wohnen
Im neuen Stadtteil Nordbahnhof ist das bekannteste Gebäude das Wohnprojekt, ein 8-stöckiges, partizipatives Wohnhaus aus Holz mit Erkerfenstern, Dachterrasse, Gästezimmern, Küche, Grill und Gemeinschaftsgärten, Fernwärme und Photovoltaikanlagen.
Es wurde 2014 eingeweiht, mehrfach ausgezeichnet und verfügt über 39 erschwingliche Wohnungen (ca. 570 € prom2). Die Bewohner widmen etwa zwölf Stunden pro Monat der Gemeinschaftsarbeit. Die Entscheidungen werden nicht demokratisch, sondern nach dem Prinzip der "Soziokratie", einer auf Konsens basierenden Regierungsform, getroffen. Das Konzept funktioniert und erfreut die rund 100 Bewohner im Alter von 2 bis 76 Jahren. Erich, ein Rentner, ist einer der Initiatoren: "Das Ergebnis ist noch besser, als ich es mir vorgestellt habe. Wir sind ein Dorf in der Stadt und stoßen auf wenig Schwierigkeiten. Während der Gesundheitskrise wurden die 40 ansässigen Kinder in unserem Seminarraum unterrichtet."
Aspern Seestadt oder die neu gedachte Vorstadt
Aber das letzte große städtebauliche Projekt in Wien, das für seine Umweltqualität und Originalität ausgezeichnet wurde, ist die Aspern Seestadt, ein Öko-Viertel für Wohnen, Business und Freizeit, das mit der U-Bahn erreichbar ist. 20.000 Einwohner heute, 40.000 im Jahr 2028. Alle Straßen sind nach Frauen benannt, um eine gewisse Parität wiederherzustellen. Friedliche Atmosphäre rund um einen großen künstlichen See, Parks, Fußgängerplätze, Gemeinschaftsgärten, Spielplätze usw. Hier lassen die Bewohner das Auto stehen. Neben den sanften Wegen fährt auch ein kleiner, experimenteller, fahrerloser Elektro-Shuttle durch das Viertel. Viele innovative und inspirierende Architekten haben hier mitgewirkt. Das originellste Gebäude bleibt das elegante Öko-Gebäude Hoho, das mit 24 Stockwerken höchste Holzgebäude, das je gebaut wurde, mit Büros, einem Hotel und einem Restaurant. Romane Hofman, die bei diesem Projekt mit Günter Gerbler zusammenarbeitet, erklärt: "Es ist ein hybrider Öko-Bau aus vorgefertigten Elementen, die Fichte und Lärche miteinander verbinden, getragen von massiven Holzpfeilern und einem Betonskelett, mit Photovoltaik-Dach, viel Glas, sehr gut isoliert und an die Fernwärme angeschlossen." Ein weiteres Bauwerk, das man sich aus der Ferne ansieht!