GEBURTSHAUS VON IVO ANDRIĆ

Dies ist nicht wirklich das "Geburtshaus von Ivo Andrić" (Rodna Kuća Ive Andrića). Der Schriftsteller wurde nicht hier, sondern 1 km südlich in Dolac geboren, als seine Mutter Katarina am 9. Oktober 1892 eine Cousine besuchte. Immerhin verbrachte der einzige Literaturnobelpreisträger (1961) des ehemaligen Jugoslawiens die ersten beiden Jahre seines Lebens in diesem schönen Haus mit Erker aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1894 zwang der Tod des Vaters Antun die Familie, nach Višegrad in Ostbosnien zu ziehen. Der junge Andrić kehrte zwanzig Jahre später nach Travnik zurück: Als Pro-Serbe und mutmaßlicher Beteiligter am Attentat von Sarajevo am 28. Juni 1914 wurde er inhaftiert und 1915 unter Hausarrest im katholischen Kloster Ovčarevo (5 km nordwestlich) gestellt. Doch weit weg von hier, in Paris, fand er 1927 den Stoff für Die Chronik von Travnik (1945), eines seiner beiden Meisterwerke neben Die Brücke über die Drina (1945). Andrić, der damals in der jugoslawischen Botschaft in Frankreich arbeitete, vertiefte sich in die Berichte des französischen Konsuls, der von 1809 bis 1814 in Travnik stationiert war, als die Region unter der Herrschaft von Napoleons Truppen stand. Der Schriftsteller nutzt sie, um seine Handlung aufzubauen: die Freundschaft zwischen dem französischen und dem österreichischen Konsul. Eine Chronik, die es ihm ermöglicht, eine detaillierte Beschreibung von Travnik in der osmanischen Ära und der Beziehungen zwischen den serbischen, jüdischen, türkischen, aromanischen, griechischen, bosnischen und kroatischen Gemeinschaften der Stadt zu geben. Diese ganze Geschichte wird in diesem "Geburtshaus", das 1974 in ein Museum umgewandelt wurde, ziemlich wenig erwähnt. Andrić galt damals als Vorzeigekünstler im sozialistischen Jugoslawien: Er stammte aus einer bosnisch-kroatischen Familie, hatte sich entschieden, Serbe zu werden, und sich gegen die Österreich-Ungarn und später gegen das royalistische Regime Jugoslawiens gestellt. Heute kommen Besucher aus Bosnien und Herzegowina, Serbien und Kroatien auf den Spuren dieses "nationalen Schriftstellers", den jeder für sich beansprucht. Es ist daher wenig überraschend, dass man im^ersten Stock das "Geburtszimmer" entdeckt, ein hübsch mit osmanischen Möbeln eingerichteter Raum, in dem der kleine Ivo... nicht geboren wurde. Im Erdgeschoss geht es etwas ernster zu. Mehrere Räume sind dem Platz von Travnik im Werk des Autors gewidmet - allerdings ist das für diejenigen, die kein Bosnisch-Serbokroatisch lesen können, etwas mühseliger. Kleine emotionale Sequenz immerhin bei der Erwähnung von Andrićs letztem Besuch in seiner Stadt im Jahr 1972, drei Jahre vor seinem Tod in Belgrad am 13. März 1975.