"Wir hatten keine Bananen, aber Sozialversicherung"
Ostalgie ist ein Kofferwort, das sich aus dem Wort Osten, das im Deutschen den Osten bezeichnet, und Nostalgie, deren Übersetzung nicht zu machen ist, zusammensetzt. Wahrscheinlich verdanken wir diesen Neologismus einem Dresdner Kabarettisten, der nicht ohne Ironie einen Trend kommentierte, den er in den 1990er Jahren in seinem Land beobachtete: einen gewissen Spleen, der im Osten verbreitet war. Seitdem ist die Definition des Wortes "Ostalgie" elastisch. Es ist ein schwammiger Begriff, der ein zartes Verhältnis zur DDR und zu den mit der Kindheit verbundenen Erinnerungen bezeichnen kann. Das Wort kann die Begeisterung für Orte und Gegenstände aus der GDR bezeichnen, eine Vintage-Bewegung, die man übrigens auch anderswo beobachten kann. Man kann es aber auch als Identitätsbehauptung nach der Wiedervereinigung sehen, deren Fehlschläge bis heute zu spüren sind. Es ist eine Form des Misstrauens gegenüber der westdeutschen Bevormundung. In der Tat lässt die Härte der Wiedervereinigung mit ihren vielen Fabrikschließungen und Entlassungen den ostdeutschen Wohlfahrtsstaat, in dem Arbeitsplätze garantiert waren, vermissen. Die Einführung des freien Marktes verurteilte viele Bürger zur Arbeitslosigkeit und die steigenden Mieten zwangen sie dazu, immer weiter von den Stadtzentren entfernt zu wohnen.
Die Ostalgie als Gegenstand der Analyse von Historikern
Andreas Rödder zufolge ist die in den 1990er Jahren entstandene Ostalgie "ein utopischer Wunsch nach Sicherheit [...] vor dem rauen Wind der Marktwirtschaft und den Orkanen der Globalisierung". Für diesen westdeutschen Historiker ist sie eine Realitätsverweigerung, die den Wunsch offenbart, eine andere Identität zu behaupten, um sich vom Westen abzugrenzen und das Gefühl zu kompensieren, zu den Benachteiligten zu gehören. Er sieht in der Ostalgie einen trügerischen sicheren Hafen. Man kann Andreas Rödder vorwerfen, dass er die Folgen der Wiedervereinigung mit einer gewissen Selbstgefälligkeit analysiert und die Auswirkungen und den Schock des Übergangs für die Ostdeutschen herunterspielt. Der französische Historiker Nicolas Offenstadt hingegen beobachtet die Ostalgie mit weniger Strenge. Und er hilft uns, ihre Bedeutung und ihre Herausforderungen besser zu verstehen. Der Trödler hat in der DDRUrbex (Urban Exploration) betrieben und einen großartigen Bericht mit dem Titel Le Pays disparu (Das verschwundene Land) verfasst, in dem er nach den "Spuren" sucht, die die DDR hinterlassen hat. Die Ostalgie kann als Ablehnung dieser binären Geschichte gesehen werden, die die DDR dämonisiert, um die Wiedervereinigung zu loben und zu legitimieren. Nicolas Offenstadt verwendet den Begriff "Ostalgie" sehr vorsichtig, da er der Ansicht ist, dass dieser oft dazu neigt, den ostdeutschen Diskurs zu diskreditieren und ihn unaufhaltsam auf die Seite der sentimentalen Nostalgie oder derUnterhaltung für die Westdeutschen zu stellen. Nicolas Offenstadt bemüht sich, den ostdeutschen Stimmen zuzuhören, und nimmt sie ernst. Ihre Nachsicht oder Zärtlichkeit gegenüber der DDR kann als Wunsch verstanden werden, sich von dem Mehrheitsdiskurs zu emanzipieren, der nach der Wiedervereinigung geführt wurde. Diese Ostdeutschen weigern sich, sich als Opfer darstellen zu lassen und missbilligen den Diskurs, der die DDR dämonisiert und die BRD in vereinfachender Weise glorifiziert.
Ostalgie-Phänomen und der Glamour des Made in GDR
Ab Anfang der 1990er Jahre nimmt dieses "Ostalgie-Phänomen" eine Vielzahl von Formen an. Wir haben die Diskurse erwähnt, die sich der einseitigen Verurteilung der DDR widersetzen. Der sichtbarste Teil dieses ostalgischen Moments ist zweifellos der Bekanntheitsgrad von Objekten Made in GDR (German Democratic Republic). Die Beliebtheit von Trödel- und Flohmärkten wartete nicht bis zum Fall der Mauer, aber mit dem Verschwinden der DDR stieg auch die Berühmtheit von Gegenständen, die in dem verschwundenen Land hergestellt wurden. Bis heute erfreuen sich Gegenstände Made in GDR auf den Berliner Flohmärkten (Flohmarkt am Boxhagner Platz, Flohmarkt am Mauerpark) großer Beliebtheit. Einige der typischen DDR-Produkte werden auch heute noch hergestellt, und ihr Fortbestehen zeigt, dass die DDR-Vergangenheit in Gefahr ist: Halloren-Schokolade und Knusperflocken, Rotkäppchen-Sekt, Vita Cola und nicht zuletzt die berühmten Spreewald-Gurken, die durch den Film Good Bye Lenin " bekannt wurden Dieser Film aus dem Jahr 2003 verkörpert alle Ambivalenzen des Ostalgie-Phänomens. Alex lässt die DDR in der Wohnung seiner bettlägerigen, heimatverbundenen Mutter wieder aufleben, um ihr den Schock der Wiedervereinigung zu ersparen. Man hat dem Film vorgeworfen, ein Unterhaltungsobjekt zu produzieren, das auf die Befriedigung der westdeutschen Selbstgefälligkeit zugeschnitten ist. Auf der anderen Seite ist es unbestreitbar, dass der Film der ostdeutschen Ästhetik Tribut zollt und ihr auch zu ihrem Recht verhilft. An dieser Stelle kann auch die Serie Weißensee erwähnt werden, in der es um zwei Familien in der DDR zwischen 1980 und 1990 geht. Viele Ostdeutsche nahmen diese Serie mit Wohlwollen auf, denn sie ist komplex und subtil, bemüht sich um die Darstellung sehr unterschiedlicher Bürgerprofile und entgeht so der Karikatur.
"Verschwinden der Spuren" (Nicolas Offenstadt)
Es muss gesagt werden, dass die "Überreste" der DDR von Jahr zu Jahr weniger werden. Viele der symbolträchtigen Orte der DDR sind nach der Wiedervereinigung verschwunden. Dazu gehören der Palast der Republik, der 2006 zerstört wurde, oder die Lenin-Statue in Friedrichshain, die 1991 abgerissen wurde. Viele Straßennamen wurden in Ost-Berlin geändert, wodurch die Erinnerung an die Helden der Arbeiterbewegungen, die die DDR im Herzen dessen, was man als sozialistische Geografie bezeichnen kann, feiern wollte, in weite Ferne rückte. Es gab Stimmen, die sich dafür aussprachen, die Gedenkstätten der DDR im öffentlichen Raum zu erhalten. Vielleicht war es das extrem schnelle Verschwinden der DDR zwischen dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung, das viele Menschen dazu veranlasste, sich für die Rettung der Überreste der Vergangenheit einzusetzen. Die Welle der Schließung dieser "ostalgischen" Orte hält bis heute an. Das Café Sibylle in der Karl-Marx-Allee musste schließen, die Jugendherberge Ostel folgte demselben Schicksal. Ist dem Ostalgie-Phänomen die Luft ausgegangen oder ist es an seiner kommerziellen Zweckentfremdung erstickt? Nicht alle Orte, die mit der DDR in Verbindung stehen, sind verschwunden, und Besucher können beruhigt sein: Einige Orte in der Stadt bewahren auch heute noch die Ästhetik der Vergangenheit. Der Alexanderplatz ist unbestreitbar einer dieser Orte. Von Bombenangriffen völlig zerstört, erhielt das Viertel nach dem Krieg neue Ausmaße, um den Platz zum Herzen der ostdeutschen Hauptstadt zu machen. Die Weltzeituhr oder das Park Inn Hotel sowie die zahlreichen Gebäuderiegel rundherum im Viertel bewahren diesen kleinen Hauch von Ostalgie. Noch symbolträchtiger für die DDR und ihren Willen, zu zeigen, was sie kann, ist der 368 Meter hohe Fernsehturm. Er wurde 1969 eingeweiht und ist bis heute das höchste Gebäude in Deutschland. Allein die Karl-Marx-Allee ist ein Zeugnis der sozialistischen Monumentalästhetik. Die Statuen von Arbeitern und Bauern an einigen Fassaden zeigen den neuen Platz, den die Arbeiterklasse in der Gesellschaft der DDR einnimmt, aber die Allee verzichtet dennoch nicht auf einen gewissen architektonischen Prunk, der an andere monumentale Gebäude in Warschau oder Moskau erinnert. Schließlich muss man auch die zahlreichen sozialistischen Gedenkstätten erwähnen, die in Ostdeutschland errichtet wurden. Im Ernst-Thälmann-Park in Prenzlauer Berg befindet sich eine monumentale Statue, die dem Vorsitzenden der KPD, Reichstagsabgeordneten und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus gewidmet ist. Seit 2014 steht das Denkmal unter Denkmalschutz.
Ostalgie an den Wahlurnen
Die Betonmauer, die die Stadt 28 Jahre lang trennte, hat ihre Spuren hinterlassen. Im Deutschen spricht man von der Mauer in den Köpfen, der "Mauer in den Köpfen". In den Randbezirken Berlins gab es nicht die Mischung, die Prenzlauer Berg oder Mitte erlebt haben. Es gibt heute nur wenige Ostberliner in Reinickendorf oder Spandau und wahrscheinlich noch weniger Westberliner in Marzahn oder Lichtenberg. Dieser Unterschied zwischen den Teilen der Stadt ist besonders deutlich in den Wahlergebnissen zu erkennen (und das bis heute). Bei den Wahlen im September 2016 - zur Neubesetzung des Berliner Abgeordnetenhauses, die in diesem Stadtstaat gewissermaßen sowohl Landtags- als auch Kommunalwahlen sind - wurde die Linkspartei Die Linke (SED-Nachfolgerin) in den meisten Ostberliner Wahlkreisen stärkste Partei. Die Linke erzielte ihre besten Ergebnisse (zwischen 20 und 30 Prozent der Stimmen) in den Bezirken Lichtenberg, Pankow, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick, die alle im Ostteil der Stadt liegen. Auch wenn das Verschwinden der DDR - vor nunmehr über dreißig Jahren - sie jedes Jahr ein Stück weiter von uns entfernt, hat sie nicht aufgehört, uns zu faszinieren. Die vierzig Jahre Kommunismus in Ostdeutschland fesseln die Neugier der Berlin-Besucher, die es eilig haben, das authentische Ostberlin, das "Vorher", zu entdecken, wahrscheinlich so vergeblich wie Archäologen, die nach Atlantis suchen.