Merkmale der Kunst des Alten Ägypten
Die Kunst des alten Ägypten reicht von der Nagada-Periode, zwischen 3800 und 3000 v. Chr., bis zur Amarna-Kunst, um -1300 v. Chr. Die Kunst des alten Ägypten ist eine der ältesten Kunstformen der Welt. Während dieser Jahrtausende muss der Künstler, der den Status eines Handwerkers hat, die wesentlichen Merkmale der Realität wiedergeben. Eine Fülle von Details hätte die Zerbrechlichkeit der Wirklichkeit suggeriert. Doch das ägyptische Volk lehnte die Vergänglichkeit vehement ab. Schätzungsweise 95% der heute erhaltenen Werke sind gemeißelte Reliefs und nur 5% sind Fresken oder Zeichnungen. Die strengen Konventionen, die dem Künstler auferlegt wurden, wurden während des Alten Reichs festgelegt. Zu diesen Gesetzen gehörten die Organisation der Themen in übereinander liegenden Registern, die Ablehnung des Naturalismus bei Hintergrunddarstellungen, die Verwendung einer hierarchischen Perspektive und die Verwendung verschiedener Stile je nach Figur.
Grafisch zeichnet sich die ägyptische Kunst durch klare Linien, einfache Formen und flächige Farben aus. Trotz des Fehlens der traditionellen Perspektive waren die Darstellungen überraschend realistisch. Das lag daran, dass die Künstler über umfassende Kenntnisse der Anatomie und einen scharfen Sinn für Details verfügten. Glücklicherweise hat die ägyptische Kunst den Test der Zeit dank des sehr trockenen Klimas in diesem Teil der Welt wunderbar überstanden.
Man muss wissen, dass die ägyptische Kunst einen starken symbolischen und soziologischen Wert besaß, da ihre Funktion darin bestand, den sozialen, religiösen oder politischen Status des Dargestellten widerzuspiegeln. So wurde eine Person umso größer dargestellt, je bedeutender sie war. Eine begrenzte Anzahl von Farben war zulässig: Weiß, Schwarz, die drei Grundfarben sowie deren Kombinationen (Grün, Braun, Rosa und Grau). Erst in der Amarna-Periode wurden subtile Farbabstufungen eingeführt.
Eine symbolische Kunst
Die ägyptische Kunst ist ausgesprochen allegorisch. So repräsentieren Tiere die Gottheiten, wie Horus mit dem Kopf eines Falken oder Anubis mit dem Kopf eines Schakals. Ebenso hat die Farbe eine metaphorische Bedeutung: Weiß steht für Freude, aber auch für rituelle Reinheit, und als Erinnerung an die Morgenröte beschwört Weiß den Sieg des Lichts über die Finsternis herauf. Hellblau symbolisiert die Luft und den Himmel. Es ist die Farbe von Amun, dem Gott der Atmosphäre; Dunkelblau steht für den Nachthimmel und den Abgrund; Türkis für die Welt des Nils, aus der das Leben hervorgeht. Braun ist der Haut vorbehalten, dunkel für Männer, ockerfarben für Frauen. Gelb ist das Gold, die Sonne und ihre Unsterblichkeit, die Farbe der Götter. Das Schwarz der Nacht und des Totenreichs ist vor allem ein Symbol der Wiedergeburt und der Fruchtbarkeit. Rot, die Farbe des Gottes Seth, des Zerstörers, erinnert an Gewalt, Feuer und Blut, aber auch an den Sieg. Grün, die Farbe der Vegetation, ist auch die Farbe der Jugend und der Erneuerung.
Das universelle Bedürfnis, das Geheimnis des Todes zu erklären, führte dazu, dass die Ägypter an ein Leben im Jenseits glaubten. Daher ist die ägyptische Kunst zutiefst von der Religion geprägt. Die Bildhauer und Maler bildeten alle Gegenstände ab, die der Auftraggeber nach dem Tod wiederfinden wollte, denn im Jenseits brauchte der Verstorbene weiterhin Nahrung, Spiele zur Unterhaltung und Bedienstete. Die Kunstformen änderten sich während der gesamten dynastischen Epoche nur wenig. Erst unter der Herrschaft von Echnaton lösten sich die Künstler von den Traditionen.
Die Verstorbenen wurden wie Könige und Götter idealisiert und in einer ruhigen, würdevollen Haltung dargestellt: Das Gesetz der Frontalität teilt den Körper in zwei symmetrische Teile. Die Gegenstände waren in ähnlicher Weise symbolisch. Die Kartusche, eine längliche Form, schützt die Namen der Pharaonen. Die Accessoires, Kopfbedeckungen und Zepter informieren über die Identität der Person. Der Toupetbart ist dem Pharao (gerader Bart) und den Göttern (gekrümmter Bart) vorbehalten. Das göttliche Zepter (Ouas), eine Art langer, gegabelter Stock, ist spezifisch für die Götter. Das Zepter (Sekhem), das die Form eines Papyrus hat, ist den Würdenträgern vorbehalten. Mit Amuletten können Symbole eingeführt werden, wie die Djed-Säule, die Wirbelsäule des Osiris, die Stabilität und Auferstehung symbolisiert. Oder der Skarabäus als Symbol der Wiedergeburt, der Geier als Synonym für Schutz und die Ouadj-Säule, die auf die landwirtschaftliche Fruchtbarkeit hinweist.
Gemälde und Reliefs
Der Kampf gegen die Vergänglichkeit und das Streben nach Ordnung beeinflussten sowohl die Malerei als auch die Reliefs. Die Ägypter beherrschten viele verschiedene Techniken, aber ihre größten Errungenschaften sind nach wie vor die Wanddekorationen in den Gräbern, wie die im Tal der Könige in Luxor. Die Friese dienten auch dazu, von Kriegen zu berichten, die königliche Macht zu verherrlichen, Gottheiten zu zeigen und sie zu verehren. Ihre Hauptfunktion blieb jedoch, dem Verstorbenen im Jenseits beizustehen. Die herrlichen Szenen aus dem Grab von Menna (Nekropole von Scheich Abd el-Gurnah) zeigen den glücklichen Verstorbenen, der mit seiner Familie in Papyrusbooten fischt.
Die Temperatechnik war die einzige Technik, die in der Malerei verwendet wurde. Die Farbe wird durch das Mischen von Wasser, Klebstoffen (Eiweiß oder Pflanzengummi) und pulverisierten Pigmenten erzielt. Viele Flachreliefs und Skulpturen wurden bemalt, daher ergänzen sich die Techniken der Bildhauerei und der Malerei. Für das Relief gibt es drei verschiedene Methoden. Das Flachrelief: Die Figuren werden leicht aus dem Stein herausgearbeitet. Zweitens das vertiefte Relief oder das ägyptische Relief: Die Figuren werden vertieft modelliert, ohne sich vom Hintergrund abzuheben. Und schließlich das gravierte Relief, bei dem die Umrisse der Figuren ausgehöhlt werden.
Auch das gemalte Relief, das von den alten Ägyptern bevorzugt wurde, unterliegt bestimmten Normen. Durch das Spiel mit Maßstäben kann die relative Bedeutung der einzelnen Figuren variiert werden. Durch die Kombination von Blickwinkeln kann ein bestimmtes Detail hervorgehoben oder ein Objekt aus einem bedeutenden Winkel präsentiert werden. Bei menschlichen Figuren werden die Schultern und das Auge systematisch von vorne gezeigt. Der Rest der Figur, sowohl der Körper als auch das Gesicht, wird im Profil betrachtet. Wie alle Techniken der ägyptischen Kunst ist auch die Reliefmalerei zeitlos, da sie auf die Ewigkeit abzielt. Aus diesem Grund werden für den Bau von Monumenten und die Gestaltung von Reliefs nur die widerstandsfähigsten Materialien verwendet. Außerdem wurden kompakte Posen gewählt, da diese weniger zerbrechlich waren und somit Beschädigungen vermieden.
Im Mittleren Reich blieben die aus dem Alten Reich übernommenen Modelle bestehen, auch wenn sie in einem anspruchsvolleren und vielfältigeren Stil kopiert wurden. Die Uschebtis, kleine Statuetten von Grabdienern, tauchten auf.
Während des Neuen Reiches war der Aufschwung der Malerei auf die Demokratisierung der Totenrituale zurückzuführen. Die Handwerker mussten mit ansehen, wie sich die Gebäude und damit auch die zu bemalenden Flächen ausbreiteten. Neben Fresken wurden auch immer mehr Bilder auf Papyrus für die Sarkophage angefertigt. Nach und nach führte die steigende Produktion zu einem schematischeren Stil. Beeinflusst durch die Kontakte mit Asien legten die Künstler mehr Wert auf Details bei Haaren, Ornamenten und Schmuck. Der Sinn für Bewegung wird klarer. Halbtöne tauchen auf, um zum Beispiel Kleidung transparent zu machen. Neue Themen breiten sich aus: Kämpfe, das Schauspiel von Siegern und Besiegten, aber auch Feste und prunkvolle Bankette.
Ägyptische Skulptur
Die Skulptur spielt in der ägyptischen Welt eine herausragende Rolle. Die ideologische und kulturelle Komplexität der Gesellschaft spiegelt sich darin sowohl in den verwendeten Materialien als auch in den Ausführungstechniken wider. Stein wird natürlich wegen seiner Verschleißfestigkeit bevorzugt.
Die Ägypter sind für ihre gigantischen Skulpturen berühmt. Die großartigsten Beispiele sind die geheimnisvolle Sphinx von Gizeh, die Statuen von Ramses II. in den Tempeln von Abu Simbel und die Diorit-Skulptur des Pharaos Chephren, die in der Nekropole von Gizeh gefunden wurde. Parallel dazu schufen die Ägypter kleinere, kunstvollere Statuen, die eine hervorragende Beherrschung verschiedener Materialien wie Alabaster, Elfenbein, Kalkstein, Basalt, Holzvergoldung und manchmal sogar Gold aufwiesen.
Auch bei der Statue handelt es sich entweder um ein Grabmal (die Statue wird als Gefäß für die Seele des Verstorbenen betrachtet) oder um ein göttliches Bildnis (Darstellungen des Pharaos, der Gott auf Erden und im Jenseits ist). Die Statue ist jedoch ein Porträt, das wahrscheinlich ähnlich aussieht, da ihre Funktion darin besteht, den Geist des Verstorbenen festzuhalten. Die Symbolik der Skulpturen war äußerst stark: Sie dienten dazu, die Toten in die Ewigkeit zu geleiten, oder ermöglichten es ihnen, Momente ihrer vergangenen Existenz wiederzubeleben.
Ein weiteres Thema der Statuen war das Familienglück. Die Statuen der Eheleute Rahotep und Nefret, die im Ägyptischen Museum in Kairo aufbewahrt werden, sind sehr aufschlussreich für diese Symbolik. Beide werden auf einem Stuhl mit Rückenlehne sitzend dargestellt, wobei Nefret jedoch zurückhaltender wirkt als ihr Mann. Rahotep wird erwähnt, um seine hierarchische Position innerhalb des Paares zu betonen. Seine kantige Gestalt gibt ihm einen festen Stand, während sich seine ockerfarbene Hautfarbe von der weißen Rückenlehne des Stuhls abhebt. Die blassere Nefret erscheint rundlich, weiß gekleidet und mit Schmuck geschmückt.
Das dritte Thema: Die Skulptur ist ein Symbol der Macht. Sie drückt die hohen Qualitäten des Pharaos und seine höchste Verantwortung aus. Die bemalte Sandsteinstatue von Montouhotep II. aus dem Deir el-Bahari-Komplex in Luxor zeigt den König auf seinem Thron mit gekreuzten Armen in der Haltung des Osiris. Sein massiver Körper, der seine ganze Macht ausdrückt, markiert einen Wendepunkt in der Kunst des Mittleren Reiches. Die Sphinx ist natürlich das berühmteste und geheimnisvollste Modell der königlichen Darstellungen. Sie soll die solare Vereinigung des Gottes Re mit dem Pharao symbolisieren.
Die Amarna-Periode
Die Amarna-Periode (von -1353 bis -1336) revolutioniert den seit Jahrhunderten geltenden Kunstkanon. Der Amarna-Stil entstand unter Pharao Amenhotep III. und setzte sich unter seinem Nachfolger Echnaton durch. Dieser entmystifizierte den Pharao, indem er sich in Alltagsszenen abbilden ließ.
Die Kunst der Amarna zeichnet sich durch Zartheit, eine Fülle von Pflanzen und Vögeln sowie Genreszenen aus. Die offizielle Skulptur nimmt Züge an, die einen Realismus erreichen, der in völligem Gegensatz zu den Produktionen der vorherigen Königreiche steht. Während sich die Tradition in den Posen und allgemeinen Formen der Statuen wiederfindet, scheinen die Porträts nach der Natur und nicht mehr nach einem offiziellen Modell gefertigt zu sein. Die Männer tragen weichere Gesichtszüge und volle Lippen. Die Gemeinsamkeiten zwischen der Statue von Echnaton im Ägyptischen Museum in Kairo und den berühmten Büsten seiner Frau Nofretete fallen sofort ins Auge.
Ganz allgemein löst sich die Kunst von alten Tabus. So haben die Friese im Grab von Amarna mehr mit dem Alltag der königlichen Familie zu tun als mit dem zukünftigen Leben des Königs im Jenseits. Der Pharao reitet auf seinem Wagen, gefolgt von seinen Dienern, zum großen Tempel des Aton. Er bringt dem Gott eine Fülle von Tieren als Opfergabe, die in einem früheren Grab niemals ihren Platz gefunden hätten. Andere Gemälde zeigen die königliche Familie in privaten Szenen, insbesondere beim Essen, mit nie zuvor gesehenen fließenden Bewegungen. All diese Darstellungen widersprechen dem klassischen Bild des unveränderlichen und undurchdringlichen Pharaos.
Nach Echnaton nahm die Religion wieder ihren alten Platz ein und die Künstler kehrten zu einem konservativen Stil zurück.