Die "grüne" Revolution?
Nach seiner Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich im Jahr 1947 waren sich alle nationalen Experten einig, dass Indien in einer Hungersnot versinken würde. Indien konnte sie jedoch eines Besseren belehren, indem es die sogenannte Grüne Revolution organisierte: eine massive Industrialisierung der Landwirtschaft.
Doch die Grüne Revolution ist alles andere als grün. Pestizide hielten kaum ein Jahr nach der Unabhängigkeit Einzug und wurden von schweren Landmaschinen, GVOs und anderen chemischen Düngemitteln begleitet. Heute sind die Schäden zahlreich: unfruchtbare oder gar verödete Böden, verseuchtes Grundwasser, Entwaldung, erheblicher Verlust der Artenvielfalt...
Und hier beißt sich die Schlange in den Schwanz: Die Grüne Revolution, die die indische Bevölkerung einst vor dem Hungertod bewahrte, könnte sie heute in diesen stürzen. Die Landwirtschaft wird aufgrund des unberechenbaren Klimas, des Rückgangs der Anbauflächen, des Mangels an Bestäubern, der Wasserknappheit, des erhöhten Risikos von Erdrutschen aufgrund der schlechten Bodenqualität usw. immer schwieriger. Die Lage der Landwirte ist so prekär, dass Indien eine Selbstmordwelle unter ihnen erlebt, die seit den 1990er Jahren anhält und keine Welle mehr ist.
Heute gibt es wieder Hoffnung, und zwar durch eine neue Revolution, die dieses Mal wirklich grün ist: die biologische Landwirtschaft. Zwar sind die Landwirte, die sich für den ökologischen Landbau entschieden haben, immer noch in der Minderheit, doch sie sind fest entschlossen, die Dinge zu ändern. Der Bundesstaat Sikkim, der an Bhutan, Nepal und China grenzt, hat beschlossen, keine Zugeständnisse zu machen. Seit 2015 ist er zu 100 % biologisch! Die Verwendung von chemischen Hilfsmitteln wird dort nun mit Gefängnis und einer hohen Geldstrafe geahndet.
Wir ersticken!
Wenn man der Rangliste des Schweizer Luftanalyseinstituts IQAir glauben darf, sind unter den 20 Städten mit der höchsten Luftverschmutzung der Welt im Jahr 2022 14 indische Städte. Diese 14 befinden sich alle in Nordindien! Das Phänomen ist so groß, dass laut der wissenschaftlichen Zeitschrift The Lancet im Jahr 2020 1,67 Millionen Todesfälle direkt auf schlechte Luftqualität zurückzuführen sein werden. Davon würden allein in der Hauptstadt Neu-Delhi, die regelmäßig unter einer Wolke aus Luftverschmutzung erstickt, 20.000 Menschen sterben.
Wie andere Städte des Landes leidet sie unter der Verschmutzung durch Abgase und giftige Emissionen der Industrie. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die immer noch weit verbreitete Praxis der landwirtschaftlichen Brandrodung. Jedes Jahr im Spätherbst säubern die Bauern ihre Felder, indem sie sie nach der Ernte abbrennen. Diese Praxis ist zwar verboten, nimmt aber tendenziell zu. Die Menschen in Nordindien kritisieren, dass sich die Politik nicht ausreichend für dieses Problem einsetzt, obwohl es von entscheidender Bedeutung ist.
Indien im Angesicht seines Mülls
Das schnelle und überproportionale Bevölkerungswachstum hat zu einem ernsten Problem der Abfallentsorgung geführt. In Indien, dem mittlerweile bevölkerungsreichsten Land der Welt, türmen sich die Abfälle in schlecht verwalteten Mülldeponien unter freiem Himmel. Diese Deponien bringen nicht nur Ungeziefer und zahlreiche Krankheiten mit sich, sondern verschmutzen auch das Grundwasser, da der Regen auf den giftigen Abfall fällt.
In Neu Delhi hat die Mülldeponie von Ghazipur sogar eine Höhe von 75 m erreicht: Sie ist höher als das Taj Mahal! Dieses verrottende Monster vergiftet das Leben der Anwohner durch Methanausdünstungen und Ratten. Als sie 2017 unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrach, verursachte sie sogar den Tod von zwei Menschen. Die Behörden planten zwar mehrmals die Schließung der Anlage, doch wurde diese mangels Alternativen immer wieder abgesagt.
Der Grund für das Müllproblem ist, dass das Land nicht über die nötige Infrastruktur verfügt, um die Müllberge zu sortieren, zu lagern und zu recyceln. Im Jahr 2014 versuchte der indische Premierminister Narendra Modi jedoch, das Programm Clean India Mission ins Leben zu rufen. Das Programm zur Verbesserung der sanitären Verhältnisse in Indien umfasste unter anderem die Säuberung der Straßen, die Organisation der Entsorgung von festen Abfällen und die Einführung von Recycling. Zwar ist eine deutliche Verbesserung zu verzeichnen, doch der Weg ist noch weit.
Im Vorfeld der Abfallentsorgung versucht die Regierung auch, das Problem an der Wurzel zu packen, indem sie die Abfallproduktion einschränkt. So hat die Regierung 2022 viele Einweggegenstände aus Plastik verboten.
Ökologie im Herzen der Religionen
Die Erhaltung der Natur, ja sogar ihre Heiligkeit, ist in Indien seit langem bekannt, da sie eine der Säulen des Hinduismus und des Buddhismus ist. Ist Nordindien nicht die einzige Region der Welt, die sich rühmen kann, das erste Umweltvolk der Welt zu beherbergen? Genau so werden die Bishnoi, ein indigenes Volk in Rajasthan, genannt. Die 700.000 Menschen zählende Gemeinschaft folgt den Lehren von Jambeshwar Bhagavan, einem Guru aus dem 15. Jahrhundert. Diese zeichnen sich vor allem durch den Respekt vor dem Leben in all seinen Formen aus. Es ist strengstens verboten, ein Tier zu töten oder einen lebenden Baum zu fällen, und es wird verlangt, 10 % der Ernte mit der Tierwelt zu teilen.
Obwohl diese Werte durch den Kolonialismus etwas untergraben wurden, sind sie auch heute noch tief in der Kultur verankert. So ist Indien mit einem Drittel der Bevölkerung das Land mit den meisten Vegetariern der Welt!
Zwischen Monsun und Dürre
Aufgrund des Klimawandels polarisieren sich die Jahreszeiten in Indien immer mehr, von immer stärkeren Monsunregen bis hin zu katastrophalen Dürreperioden. 2015, 2019, 2021, 2022, 2023... Die Dürreperioden werden immer häufiger. Im Sommer 2023 wurde Nordindien von extremer Hitze heimgesucht, die in den Bundesstaaten Uttar Pradesh und Bihar über 100 Todesopfer forderte. Die Stadt Phalodi im Nordwesten Indiens verzeichnete 2016 mit 51 °C die heißesten Temperaturen, die je in Indien gemessen wurden. Dieser Rekord wurde 2019 fast schon wieder eingestellt, als in der Stadt Churu in Rajasthan 50,8 °C gemessen wurden.
Zu diesen katastrophalen Dürren gesellt sich ein schlechtes Management der Wasserressourcen. Wie Abfall wird auch Wasser nicht richtig gelagert und verwendet, sodass es oftmals nicht für den menschlichen Verzehr geeignet ist. Die Grundwasservorkommen werden übermäßig genutzt, insbesondere durch die Landwirtschaft, die über 80% der Ressourcen entzieht. Die Bedrohung durch Wasserknappheit ist so groß, dass Indien im Jahr 2022 gezwungen war, seine Weizenexporte zu drosseln, um seine eigene Nahrungsmittelsicherheit zu schützen. Wasserkrisen werden in Zukunft immer häufiger auftreten, da Schätzungen zufolge 40% der indischen Bevölkerung bis 2050 keinen ausreichenden Zugang zu Wasser haben werden.
Die Erwärmung des Himalaya
Auch das Dach der Welt bleibt von der globalen Erwärmung nicht verschont. Schätzungen zufolge sind die Gletscher im letzten Jahrzehnt um 65 % schneller geschmolzen als im Jahr davor. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten sie 80% ihres Volumens verlieren. Dennoch sind 1,65 Milliarden Menschen für ihr Überleben auf das Wasser aus den Himalaya-Gletschern angewiesen, und ihr Verschwinden stellt eine schreckliche Bedrohung für diese Menschen dar. Kurzfristig drohen den Tälern rund um den Himalaya durch das beschleunigte Abschmelzen große Überschwemmungen.
Die Schutzgebiete
In Nordindien gibt es einige der schönsten Nationalparks des Landes. Der Corbett National Park in Uttarakhand ist der erste Nationalpark, der 1936 in Indien gegründet wurde. Der Park am Fuße des Himalaya ist vor allem dafür bekannt, dass er der erste Park war, in dem das Tigerprojekt ins Leben gerufen wurde. Dieses Regierungsprogramm wurde in den 1970er Jahren ins Leben gerufen, um den Bengalischen Tiger zu schützen. Bis heute ist es gelungen, die Population der Raubkatze im Land um mehr als das Doppelte zu erhöhen. Später schlossen sich viele weitere Parks dem Projekt an und wurden zu bevorzugten Standorten für die Beobachtung des Bengalischen Tigers. Ein Beispiel ist der Ranthambore-Nationalpark in Rajasthan, in dem 2005 noch 26 Tiger lebten, heute sind es mindestens 70. Die üppige Landschaft war früher das Jagdrevier der Maharadschas von Jaipur, und die Raubkatzen wurden, wie viele andere Tiere auch, dezimiert.
Der Kaziranga Nationalpark im chinesischen Bundesstaat Assam ist seit 2006 Teil des Tigerprojekts und beherbergt die höchste Dichte an bengalischen Tigern der Welt. Doch sein Regenwald beherbergt noch andere empfindliche und wertvolle Arten: die Indischen Nashörner. Der Park beherbergt zwei Drittel der Population dieser als gefährdet eingestuften Art.
Der Kanha-Nationalpark in Madhya Pradesh ist mit fast 1.000 km2 einer der größten Nationalparks des Landes. Unter den Hunderten von Pflanzenarten, die in den Wäldern des Parks wachsen, ist der Park besonders für den Sal-Baum (Shorea robusta) berühmt. Dieser große Baum ist ein wichtiger Bestandteil der lokalen Kultur, da er für viele Zwecke verwendet wird. Sein Harz wird zum Beispiel zu Weihrauch verarbeitet, der bei Hindu-Zeremonien verwendet wird. Die Samen werden zu fester Butter verarbeitet. Sein Holz gilt als sehr stabil und ist daher eines der meistverwendeten Bauhölzer Indiens.