Zu den Ursprüngen
Die ersten architektonischen Meisterleistungen tauchen in der Jungsteinzeit auf, als die faszinierenden sogenannten Pfahlbausiedlungen rund um die Alpenseen entstanden. Dieser Begriff bezeichnet Wohnformen aus Holz, die auf Pfählen standen und so konzipiert waren, dass sie sich an sumpfige Gebiete anpassen konnten. Eine weitere wichtige Stätte und ein Symbol der Wikingerzeit ist der archäologische Komplex von Hedeby. Diese tausendjährige Handelsstadt beherbergt noch immer Spuren von Straßen, Gebäuden und Friedhöfen, alles geschützt durch die Danevirke, ein Befestigungssystem aus Wällen, Gräben und Erdwerken. Eine Schutzarchitektur, die auch bei den Römern zu finden war. Die verschiedenen Abschnitte der römischen Grenzen, die als "Limes" bezeichnet werden, zeugen von einer unglaublichen Ingenieurskunst, insbesondere der Wassertechnik, und einer unübertroffenen Beherrschung der Topografie. Militärische Stützpunkte und kurzlebige Lager wurden mit Hilfe von Wachtürmen und anderen Festungen errichtet. Die Pracht der Stadt Trier, die oft als das Rom des Nordens bezeichnet wird, zeugt von einer grenzenlosen Macht. Die berühmte Porta Nigra, eine faszinierende Mischung aus Verteidigungsanlage und Palast, öffnet sich zu weitläufigen Thermen, einer beeindruckenden Basilika und einer wunderschönen Brücke, Meisterwerken aus Stein und wertvollen Zeugen des römischen Pragmatismus und der Monumentalität, die sich entlang der berühmten römischen Richtungsachsen Cardo und Decumanus ausbreiten und einen geometrischen Stadtplan schaffen.
Mittelalterliche Macht
Um seine Macht zu unterstreichen, ließ sich Karl der Große bei der Gestaltung seiner kaiserlichen Architektur von der Pracht vergangener Zeiten inspirieren. Der antiken Basilika und dem neu eingeführten zentrierten Grundriss fügte die karolingische Architektur eine Neuheit hinzu: zwei perfekt symmetrische Kopfseiten, die zwei Chöre beherbergen. Der Ostchor für den weltlichen Gottesdienst, der Westchor für den regulären Gottesdienst. Ebenfalls im Westen befindet sich das Westwerk, ein massives, viereckiges Gebäude, das an das Mittelschiff angebaut wurde und an seinen beiden Türmen zu erkennen ist, die das Ganze überragen. Die Wiederverwendung von antiken Materialien (Säulen, Kapitelle) ist sehr häufig. Die karolingische Architektur ist jedoch vor allem für ihre Galerien und Emporen, die sich über mehrere Stockwerke erstrecken, ihre Bogengänge, die zu den Kuppeln führen, und ihre komplexen geometrischen Grundrisse berühmt. Die schönsten Vertreter dieser Architektur sind das karolingische Westwerk und civitas von Corvey und die Pfalzkapelle des Aachener Doms. Die ottonische Architektur übernahm ihre Elemente, betonte aber gleichzeitig das Streben nach Harmonie und Perfektion, das auf der Wissenschaft der Proportionen und der Arbeit mit Dekorationen beruhte, die man in den roten und weißen Streifen auf den Rundbögen, den abwechselnden Pfeilern und Säulen, die die Gleichförmigkeit der Räume durchbrechen sollten, und den wunderschönen bemalten Dachstühlen erahnen kann. DieMichaeliskirche in Hildesheim ist ein perfektes Beispiel dafür. Ab dem 11. Jahrhundert entstanden die ersten Kathedralen, die von den salischen Kaisern mit Hilfe von Arkaden, komplexen Strukturen und imposanten Türmen in ein Machtinstrument gegen die päpstliche Allmacht verwandelt wurden. Mainz, Speyer und Worms sind die schönsten Beispiele dafür. Nach und nach wurde der Stil schlichter und gleichzeitig ausdrucksstärker, da die hölzernen Dachstühle den Steingewölben wichen, die größere architektonische Möglichkeiten boten. In der Spätromanik werden die Gewölbe und Pfeiler gerippt und kanneliert und damit leichter, die geschnitzten und gemalten Verzierungen immer reicher, während die Galerien und Fensterapsiden das Ganze in helles Licht tauchen. Der Dom von Limburg an der Lahn ist ein prächtiges Beispiel für den Übergang zur Gotik, die das Land nachhaltig prägte. Es ist die Zeit der Kathedralenstädte, deren größte Vertreterin Köln ist. Mit ihren fünf Schiffen und sieben Strahlenkapellen ist sie das Symbol der Flamboyant-Gotik. Anderswo entwickelten sich Hallenkirchen, deren Seitenschiffe auf die Höhe des Mittelschiffs angehoben wurden, wodurch regelrechte Wälder aus Säulen und Pfeilern entstanden. Die Gotik markiert auch die Entstehung der Macht der großen Städte. Mächtige Rathäuser mit zinnenbewehrten Türmen, Fachwerkhäuser mit kunstvollen Giebeln bevölkerten die Städte, die sich um malerische Gassengeflechte und gepflasterte Plätze herum entwickelten und von mächtigen Festungsanlagen geschützt wurden. Regensburg und Tübingen haben sich diese mittelalterliche Atmosphäre bewahrt. In Norddeutschland ist die Ära der Backsteingotik angebrochen, die die Macht des Deutschen Ordens und der allmächtigen Hanseatischen Liga zum Ausdruck bringt und wunderschöne Farbeffekte hervorbringt.
Renaissance, Barock und Klassizismus
Um die Zeugnisse der regelmäßigen und harmonischen Renaissance-Architektur zu entdecken, müssen Sie nach Süddeutschland reisen, das stärker von Italien beeinflusst ist. Zu den schönsten Vertretern dieser Stilrichtung gehören die Herrenhäuser in Augsburg und das Schloss Aschaffenburg, eines der ersten Schlösser mit regelmäßigem Grundriss im Land. Im Vergleich zur barocken Blütezeit, die das Land nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges erfasste, ist diese Architektur sehr brav. Der Barock ist eine Theaterkunst par excellence und besticht durch seine abwechselnden konvexen und konkaven Formen, seine optischen Täuschungen, seine gedrehten Säulen und seine Verzierungen aus Stuck und Vergoldung. In Böhmen und Süddeutschland ließ sich der Italiener Guarino Guarini von mathematischer Präzision inspirieren und schuf fantasievolle Formen voller Dynamik und Bewegung. Johann Balthasar Neumann ließ sich davon inspirieren, als er die Kirche Vierzehnheiligen in Würzburg mit ihren ineinander übergehenden ovalen und kreisförmigen Formen baute. Dominicus Zimmermann treibt die Illusion in derKirche von Wies noch weiter, deren nüchternes Weiß an der Außenseite nichts von der märchenhaften Innenausstattung erahnen lässt. Paläste und Schlösser verfügen über prächtige Treppen mit mehreren Läufen, Spiraltreppen, Arkadengalerien und Deckengemälden. Das Schloss Nymphenburg mit seiner 600 m langen Fassade ist ein großartiges Beispiel für diese barocke Lebendigkeit, ebenso wie das erhabene Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth mit seinem glockenförmigen, mehrstöckigen Saal. Diese Vitalität setzte sich mit der Rokoko-Mode fort, deren Name an die Steine erinnert, die die damals beliebten künstlichen Grotten schmückten. In dieser Zeit wurden private Räume bevorzugt, die mit stilisierten Möbeln und Dekorationen überladen wurden. Es entstanden Pavillons mit klangvollen Namen wie Monbijou in Berlin oder Solitude in Stuttgart. Auf dieses unglaubliche Dekorum folgte ein Klassizismus, der auf der Monochromie und der linearen Reinheit der Antike beruhte. Monumentale Portale an den Fassaden und dorische Säulen schmücken die neuen Tempel der Kultur und des Wissens. Leo von Klenze entwarf die dorischen Propyläen in München und den Walhalla-Tempel in Regensburg, eine Kopie des Parthenon, der über der Donau thront. In Berlin ist das Brandenburger Tor von Carl Gotthard Langhans, ein Triumphbogen, der mit dem griechischen Repertoire arbeitet, ein weiteres großartiges Beispiel für die Rückbesinnung auf die Antike. Der große Architekt dieser Zeit war jedoch Karl Friedrich Schinkel, dem es gelang, eine elegante Verschmelzung von antiker Formensprache und Funktionalität herbeizuführen. Ein großer Teil des damaligen Berlins trägt seine Handschrift. In dieser Zeit wurde auch die Landschaftsarchitektur wiederbelebt, wie der berühmte Muskauer Park zeigt, der wie ein Gemälde im Grünen gestaltet wurde. Die Schlösser und Paläste behielten eine klassische Form der Regelmäßigkeit bei, die sich wunderbar mit einer völlig frei gelassenen Natur verband. Später wurden diese antiken Linien zugunsten historisierender Stile aufgegeben. Die Romantik schöpfte aus allen historischen Quellen, um eine Form des idealisierten Nationalromans zu schaffen. Die erhabenen Ruinen der mittelalterlichen Schlösser, die die Täler des Landes überragen, sind die deutlichsten Vertreter dieses Stils, ebenso wie die grandiosen Bauwerke von Ludwig II. von Bayern, dessen Schloss Neuschwanstein weltberühmt ist.
Moderne Efferveszenz
Der deutsche Jugendstil oder Art nouveau stellt sich fließende, sinnliche Formen vor, die die Natur in totalen und symbolischen Kunstwerken heraufbeschwören. Die Mathildenhöhe in Darmstadt ist eines der großen Zentren des Jugendstils, ein erstaunliches Ensemble aus Experimenten und Landschaftsgestaltung. Joseph Maria Olbrich entwarf hier den Hochzeitsturm aus roten Ziegeln, die mit blauer Keramik verkleidet und von fünf abgerundeten Elementen gekrönt wurden, die an die Finger einer Hand erinnern. Auf diese organischen Formen folgte die klare Geometrie der Wiener Sezession, aus der wiederum die Berliner und Münchner Sezessionen hervorgingen. Inspiriert von all diesen Bewegungen gründet Peter Behrens zusammen mit anderen Künstlern und Architekten den Deutschen Werkbund. Die Idee ist, die Errungenschaften der Industrialisierung zu nutzen und gleichzeitig die handwerklichen Fähigkeiten zu erhalten. In Köln entwarf die Bewegung ihre programmatische Ausstellung, in der erstaunliche Gebäude wie das Glashaus mit seiner spitzen Kuppel von Bruno Taut aus dem Boden gestampft wurden. Die Industriekultur gipfelte in derFagus-Schuhfabrik in Alfeld an der Leine. Das Werk von Adolf Meyer und Walter Gropius ist direkt von der amerikanischen Industriearchitektur inspiriert, mit einer von der Fassade getrennten Tragstruktur, die in eine Vorhangfassade mit Glasecken umgewandelt wurde, die dem Ganzen seine Leichtigkeit verleiht. Diese modernistische Strenge wird später expressionistischer. In Hamburg entwarf Fritz Höger das Chilehaus, das sowohl von großen gotischen Gebäuden als auch von Transatlantikschiffen inspiriert ist. Die Architektur des Bauhauses ist schlicht, funktional, räumlich transparent, klar lesbar und beruht auf kollektiver Arbeit und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ihre einfachen geometrischen Körper erkennt man an den flachen Dächern, dem geschickten Einsatz von Beton, Glas und Stahl und dem ständigen Streben nach Rationalität. Die Gebäude der Bewegung in Dessau gehören zu den bekanntesten Vertretern dieser architektonischen Radikalität. Parallel dazu entwickelte sich in Großstädten wie Berlin und Frankfurt die Bewegung des Neuen Bauens, die Architektur der Großsiedlungen. Hans Scharoun, Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe entwarfen Siedlungen, die mit Dachterrassen, weißen oder leuchtend bunten Putzfassaden und standardisierten, vorgefertigten Elementen Funktionalismus und Modernität miteinander verbanden. Als Antwort auf diese Großsiedlungen entwarfen andere Architekten Einheiten in menschlicher Größe, wie die Cité Weissenhof in Stuttgart, ein von Mies van der Rohe betreutes Projekt. Der Totalitarismus der Nationalsozialisten brachte diese kreative Blütezeit zum Stillstand. In der Architektur äußerte er sich in einem systematischen Rückgriff auf Gigantismus und klassische Modelle. In Berlin erstreckt sich die Neue Reichskanzlei über eine Länge von mehr als 400 Metern, während in Nürnberg die Esplanade der Parteitage ein steinernes Delirium in Form eines Hufeisens darstellt. Doch Germania, das von Albert Speer und Hitler entworfene größenwahnsinnige Projekt, wird von den Alliierten unerbittlich unter Beschuss genommen. Das Land geht blutleer und in Trümmern aus dem Krieg hervor. In Nürnberg wurden fast 200 Architekten für ein riesiges Projekt zum originalgetreuen Wiederaufbau eingesetzt. Gottfried Böhm, der erste deutsche Träger des renommierten Pritzker-Preises (des Nobelpreises für Architektur!), ist einer der großen Architekten des Wiederaufbaus, der auf wissenschaftliche und poetische Weise Romantik, Moderne und Volkstümlichkeit miteinander verbindet.
Zeitgenössischer Triumph
Der Kalte Krieg war nicht nur ein politischer Krieg, sondern auch ein Kulturkrieg, der sich in der Architektur widerspiegelte. Im Osten waren die Sowjets bestrebt, das preußische Erbe auszulöschen und durch einen monumentalen Stil in Form eines wiederbelebten Neoklassizismus zu ersetzen, bei dem der Beton König ist, wie bei der erstaunlichen Perspektive der Karl-Marx-Allee in Berlin. Während dieser unruhigen Zeit verstanden es einige, mit den Codes zu spielen und neue architektonische Ausdrucksformen zu erfinden, insbesondere in Berlin. Mies van der Rohe entwarf die brutalistischen Konturen der Nationalgalerie, während Hans Scharoun die organischen, runden Formen der Philharmonie entwarf. 1972 war ein wichtiges Jahr für das Land, das die Olympischen Spiele in München ausrichtete. Die von Landschaftsarchitekten gestalteten Halden aus Kriegstrümmern wurden zu einem Ort der wiedergefundenen Modernität, während sich zu ihren Füßen der Olympiapark ausbreitete, dessen Stadion das Zeichen des zweiten deutschen Pritzker-Preisträgers, Frei Otto, trägt. Er ist bekannt für seine von der Natur inspirierte Formensprache, seine Verwendung von Textilstrukturen und seine Arbeit an der Entwicklung leichter Tragwerke. Er entwarf das Dach des Stadions mit seinen auf schrägen Masten gespannten Polyestersegeln. Später traten die Dekonstruktivisten auf den Plan, die Strukturelemente aus Glas und Stahl aus den Wänden und Dächern herausschälten und sie mit Echos einer pastisierten Vergangenheit in Dialog treten ließen. Diese kreative Vitalität hält bis heute an, da Deutschland die größten Namen der Weltarchitektur beherbergt. Auf den Spuren von Frank Gehry, der hier die erstaunlichen Umrisse des Vitra Design Museums entwarf, entwarf Zaha Hadid in Weil am Rhein die Feuerwache der Vitra-Fabrik mit einer riesigen, kantigen Betonplatte, die als Vordach dient. Berlin hingegen verändert sich ständig unter den Federstrichen der Größten: die Galeries Lafayette aus Glas und poliertem Stahl von Jean Nouvel; das Jüdische Museum von Daniel Libeskind, das mit seinem Wechselspiel aus vollen und leeren Räumen eine starke Symbolkraft besitzt; der von Norman Foster neu gestaltete Reichstag; der Potsdamer Platz mit seinen Wolkenkratzern, die durch ein von Renzo Piano und Helmut Jahn entworfenes Netz miteinander verbunden sind; der Hauptbahnhof von Meinhard von Gerkan, der mit seiner 321 m langen Glashalle der größte Bahnhof Europas ist; das Museum für Deutsche Geschichte mit seiner von Ieoh Ming Pei entworfenen Spiraltreppe - all dies gehören zu den unverzichtbaren Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt. Die zeitgenössischen Meisterwerke sind jedoch überall im Land zu finden: die ultramodernen Hochhäuser in Frankfurt, die unter anderem von Norman Foster und Helmut Jahn entworfen wurden; die erstaunlichen geometrischen Volumen des neuen Zollviertels in Düsseldorf von Frank Gehry; dieElbphilharmonie in Hamburg, deren 110 m hohe Decke von den Meistern der Schlichtheit, den Schweizern Herzog & de Meuron; der BMW Welt Showroom in München, dessen 180 m langes, wolkenförmiges Dach mit 3.660 Photovoltaikmodulen das Markenzeichen des berühmten Coop HimmelBlau Büros ist.. es gibt viel zu entdecken!
